Helmut Höge Wirtschaftsweisen: Lebendige Demokratie in Spree-Athen
Die Makropolitik ist nahezu identisch mit der Mikropolitik, Selbiges gilt für den Global- und Lokaljournalismus. Ein Beispiel: Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD und Master of Arts) sowie der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft City, Klaus-Jürgen Meier (Capital Club und Golfclub Wannsee) drückten rechtzeitig vorm ersten Advent um Punkt 18 Uhr im Rahmen eines Festakts auf dem Joachimsthaler Platz gemeinsam auf einen Knopf (Buzzer) und schalteten damit die weihnachtliche Festbeleuchtung an.
Der gebürtige Wilmersdorfer und dortselbst auch Bezirksreporter des Tagesspiegels Cay Dobberke berichtete ausführlich über dieses freudige Ereignis, das sogleich von der CDU-Fraktion Charlottenburg-Wilmersdorf mies gemacht wurde – mit den Worten: „Frecher und unverschämter geht es wohl kaum!“ Giffeys Auftritt „mutet geradezu unanständig an“.
Ihr Fraktionsvorsitzender Stefan Häntsch erklärte dazu: Obwohl Giffey „nicht den geringsten Anteil“ an der Finanzierung habe, „spielt sie sich als große Wohltäterin auf“. Ursprünglich sei geplant gewesen, dass der Finanzdienstleister Klaus-Jürgen Meier und die Bezirksbürgermeisterin Kirstin Bauch (Grüne) den Knopf drücken. Stattdessen habe sich Giffey „selbst zu der Eröffnungszeremonie eingeladen“, eine „Wahlkampfrede“ gehalten und sich „zum Buzzer gedrängelt“.
Der AG-City-Vorsitzende Meier widersprach heftig: Er wies „die Darstellung der CDU mit einem englischen Kraftausdruck zurück, der hier nicht zitiert werden soll. Er habe Giffey kurzfristig eingeladen. Ihre Rede habe nichts mit den Wiederholungswahlen am 12. Februar zu tun. Aus seiner Sicht verlief die Feier „sehr harmonisch“.
Dazu muss man laut Dobberke wissen, „dass der Senat diesmal keinen Zuschuss für die Illumination gewährte“. Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos, für SPD) begründete dies mit dem Aufruf an alle, Energie einzusparen. Würde der Senat eine Viertelmillion Euro für die Weihnachtsbeleuchtung spendieren, wäre das ein „absolut falsches Zeichen“.
In diesem Streit kam noch eine andere Seite zu Wort: Die bezirkliche FDP-Fraktion nannte den Auftritt von Giffey „fadenscheinig“. Sie hätte sich wenigstens für die zukünftige Beleuchtung einsetzen können, fand Fraktionschef Felix Recke-Friedrich, aber „dieser Senat verschleppt seit Jahren eine langfristige Finanzierung“ (ausgerechnet im Armenbezirk Charlottenburg-Wilmersdorf!).
Der Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) wandte sich auf t-online.de gegen einen „Schneller-weiter-höher“-Wettbewerb zwecks Einsparung von Energiekosten, nicht nur bei der Weihnachtsbeleuchtung. Der Chef des Handelsverbandes Nils Busch-Petersen äußerte sich in der B. Z. ähnlich: „Man sollte sich fragen, was das mit der Stimmung und den Gefühlen der Leute machen würde. Nach zwei Corona-Wintern und dem drohenden Kriegswinter muss man sie doch seelisch stabilisieren“ – eben mit Licht, das ja auch ihrer Sicherheit dient. Der AG-City-Vorsitzende Meier findet den diesmal aus Spenden finanzierten Lichterglanz gleichfalls wichtig: „Die Menschen brauchen diese Freude.“ Zudem würden die 140.000 LED-Lampen „nur wenig Strom“ verbrauchen und bereits um 22 Uhr abgeschaltet werden (2 Stunden früher als sonst).
Im Übrigen verballert allein die private Weihnachtsbeleuchtung so viel Strom wie 200.000 Haushalte pro Jahr: 623 Millionen Kilowattstunden, wie watson.de vorrechnete. Und da, wo sich früher die randalebereiten Studenten trafen, um den Ku’damm zu „entglasen“, am Joachimsthaler Platz, ist nun laut gratis-in-berlin.de ein überlebensgroßer Weihnachtsmann zu bestaunen. Zwischen Ranke- und Marburger Straße erstrahlt der Schriftzug „Weltstadt Berlin“ in großen Leuchtbuchstaben. All das wird wieder bis Januar Touristen aus aller Welt verzaubern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen