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Wenn die Not wahrlich groß sein muss

Von Leipzig nach ­Berlin

beträgt die schnellste Verbindung mit dem Zug 1 Stunde und 13 Minuten mit 26 Ver­bin­dungen pro Tag, 19 davon sind laut Bahn direkte Ver­bindungen.

Wir sitzen zwar im gut besuchten Zugrestaurant auf dem Weg von Leipzig nach Berlin. Aber der ältere Mann am Tisch hinter mir doziert so laut, als wäre dies ein Klassenzimmer mit äußerst schlechter Akustik. Das kommt offenbar nicht von ungefähr.

Oberstudienrat sei er, Lehrer für Naturwissenschaften, an einem Gymnasium am Rande von Berlin, wohin er nun pendelt. Er erklärt den zwei Frauen an seinem Tisch – und allen, die nicht anders können, als zuzuhören – was er von Ethik und derlei unnützen Fächern hält, dass es ja kaum noch Lehrer wie ihn gebe, dass die Schüler heute alle nicht mehr logisch denken könnten und dass eine Ohrfeige diesen Kindern nicht schaden würde. Jedenfalls sei das bei ihm früher so gewesen.

Eigentlich sei er ja schon längst in Pension, erzählt der Herr weiter, und man glaubt es ihm sofort. Der Oberstudienrat zurück im Dienst lässt eine eindrückliche Pause. Man habe ihn in die Schule zu-rück-ge-bet-telt. Beim letzten Wort zieht er die Silben auseinander.

Offenbar ist das die Pointe. Die Not muss wahrlich groß sein an Berliner Schulen.

Manuela Heim