piwik no script img

Tritte auf Stalins Stadt

Von der Krökel- zur Cheerleader-WM: Hannover hat sich absolut professionell auf Confederations-Cup und Fußball-WM vorbereitet. Auch, wenn jetzt die Brasilianer über die Leine-Metropole meckern

Von Michael Quasthoff

Sage niemand, Hannover hätte sich nicht professionell auf Confederations-Cup und WM vorbereitet. Zuerst enterte TV-Hampelmann Oliver Pocher die AWD- Arena und ließ die Auswahl Sansibars gegen ungelenke Comedians von Pro 7 kicken. Dann lotste Hannover WM-Beauftragter Klaus Timaeus die Niedersächsische Krökelmeisterschaften ins Rathaus, während das Stadtmarketing ein eigenes „offizielles“ WM-Poster herausgab, das in seiner offensiven Debilität auf Schönste an Twipsy, das LSD-Maskottchen der EXPO gemahnt. Der nächste Superevent war die „Cheerleader-WM“.

Um die Sache zu promoten, musste das OB-Denkmal Herbert „Schmalle“ Schmalstieg persönlich ran. Blankpolierte Platte, Designerbrille, die Arme ausgebreitet wie ein Fieseler Storch, im Gesicht ein ölig-routiniertes Grinsen: so dräut er nun auf Hannovers Internetseite, gerahmt von rosigen Backfischen, die fröhlich ihre Püschel schwenken.

Genützt hat es wenig. Am Donnerstag guckte der Kommunalpolitiker weit weniger repräsentabel aus der Wäsche. Da saß er neben Kaiser Franz auf der Ehrentribüne, als Griechenland und Mexiko um den Confed-Cup kickten.

Der Grund: Die frischrennovierte WM-Schüssel war nur halb voll, das Gegurke unerbaulich. Nach dem zweiten Spiel (Brasilien-Mexiko) mochte man sich die Laune des intern gern „Stalin“ titulierten Verwaltungschefs lieber gar nicht erst vorstellen. Die Brasilianer hatten nicht nur 0:1 verloren, hernach traten sie den Austragungsort Hannover außerdem verbal in Grund und Boden.

Einer der Gründe für die Schmach sei der ungenügende Qualität des Trainingsplatzes gewesen, klagte Maraci Vasconcelos, seines Zeichens Konditionstrainer des Weltmeisters. Und er drohte: falls die „Seleçao“ zum Halbfinale erneut nach Hannover müsse, werde sie später als vorgesehen anreisen und dort nur das Abschlusstraining absolvieren. Wenn man sie denn hereinläßt. Denn laut Nationalelf-Chefsupervisor Americo Faria konnten Ronaldinho, Kaka und Co. den privaten Sicherheitsdienstes Protec am Samstag erst nach Androhung massiver Prügel überzeugen, sie auf‘s Trainingsgelände zu lassen.

„Die Hannoveraner sind überzeugte und vor allem geübte Gastgeber“, kontert WM-Beauftragter Timaeus gewohnt souverän die Vorwürfe. Das Rathausversichert zudem, dass die Brasilianer versehentlich auf dem falschen Platz trainiert hätten.

Genau, selber Schuld. Die Zuckerhutkicker können eigentlich noch von Glück sagen, dass Polizeipräsident Hans-Dieter Klosa die Seleçao nicht gleich der Stadt verwiesen hat, weil die Stars dieselbe Hautfarbe haben wie die angeblichen Drogenhändler, die Law & Order-Fan Klosa gern mal zur Volksbelustigung in Handschellen und sauberen Zweierreihen aufs Pflaster legt. Mit der Gangart „geübter Gastgeber“ hat auch Japans Nationaltrainer Zico schon Bekanntschaft gemacht. Als der Brasilianer in der Lobby des hannoverschen Mannschaftshotel ein Fernsehinterview führen wollte, setzen ihn ein paar anabole Kleiderschränke vor die Tür, weil Kameras im Hotel nicht erlaubt seien. Ähnliches berichtet der Journalist Antero Greco vom Sport-Fernsehsender „ESPN Brasil“.

Ihm gegenüber seien die schwarzen Sheriffs beim Abschlusstraining sehr unfreundlich bis handgreiflich entgegengetreten. Aber vielleicht gehört das einfach zum Konzept.

„Die drei Nationen, die in Hannover um den Confederations Cup kämpfen werden, spielen im Rahmenprogramm die zentrale Rolle“, hatte WM-Zampano Timaeus erklärt. Und: „Wir wollen die Atmosphäre der einzelnen Länder nach Hannover in die Innenstadt holen“. Bloß gut, dass der Irak, Nordkorea oder die USA nicht mitspielen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen