Ceta-Abkommen
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„Rechte nur für eine Gruppe der Gesellschaft“

Das Ceta-Abkommen höhlt die Demokratie aus, sagt Nelly Grotefend. Deutschland beschneide damit seine Regulierungshoheit

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Nelly ­Grotefendt

ist Referentin für Politik mit Schwerpunkt internationale Handelspolitik und Weltwirtschaft beim Forum Umwelt und Entwicklung. Sie beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit der aktuellen Handels- und Investitions­politik der EU.

Interview Leila van Rinsum

taz: Frau Grotefendt, der Bundestag hat heute das EU-kanadische Handelsabkommen Ceta ratifiziert. Warum protestieren sie dagegen?

Nelly Grotefendt: Wir sind aus denselben Gründen gegen Ceta wie schon bei den Großdemos von 2015/16. Heute gilt noch mehr: Ein Handelsvertrag von 2009 ist den aktuellen Herausforderungen nicht mehr gewachsen. Wir haben enormen Handlungsdruck bei Klima, Umwelt, Menschenrechten und müssen unsere Handelspolitik international überarbeiten. Die Antwort kann nicht sein, ein altes Abkommen durchzudrücken, koste es, was es wolle. Mit der Ratifizierung der Schiedsgerichte wird Ceta ein brandgefährliches Abkommen, das die Demokratie aushöhlt.

Wie genau?

Es schafft Rechte für nur eine Gruppe der Gesellschaft: die großen, international agierenden Konzerne. Sie können Staaten verklagen. Damit beschneiden wir als Bundesrepublik Deutschland unsere Regulierungshoheit und damit die Möglichkeit, uns an zukünftige Herausforderungen anzupassen. Auch für die Zivilgesellschaft gibt es bei den Schiedsgerichten keine Mechanismen zu intervenieren.

Das Wirtschaftsministerium hält dagegen, es habe entscheidende Verbesserungen gegeben, etwa in der Berufung der Schieds­rich­te­r:in­nen oder der Einrichtung einer Berufungsinstanz.

Es gibt keine essenziellen Veränderungen, es wurde lediglich an der Struktur etwas nachgebessert. Die grundlegenden Klagerechte von Konzernen bleiben bestehen. Die Urteile der Schiedsgerichte, etwa die enormen Klagesummen, die wir in der Vergangenheit gesehen haben, sind dann rechtlich bindend, sollte das Abkommen von allen EU-Staaten ratifiziert werden. Wir kämpfen auch weiter gegen den Handelsteil, der schon ratifiziert ist. Aber warum dem jetzt noch die Sahnehaube in Form von Investitionsschutz aufgesetzt wird, ist unklar.

Die Grünen argumentieren, der Handels­teil könne nur verbessert werden, wenn Ceta vollständig ratifiziert ist. Dann könnten über die sogenannte Review-Klausel zum Beispiel Sanktionen zu Klimaschutz oder Arbeitsrecht im Handelsteil eingeführt werden.

Sich darauf zu berufen, dass man in der Zukunft den Sack noch mal aufschnürt, aber gleichzeitig zu sagen, wir können jetzt nicht noch mal in die Neuverhandlungen gehen, sonst kriegen wir gar nichts mehr durch, finde ich in der Argumentation fragwürdig. Im Sinne eines umfassenden Klima- und Umweltschutzes, den wir jetzt absolut brauchen, möchte ich mich nicht darauf verlassen, dass in Zukunft vielleicht noch etwas eingeflochten wird.

Was ist die Alternative?

Neuverhandlung. Wenn wir eine so freundschaftliche Beziehung zu Kanada haben, wie es die SPD immer sagt, werden wir auch Möglichkeiten schaffen können für einen fairen Dialog und ein anderes Format. Jetzt aus gutem Willen an diesem alten Vertragswerk festzuhalten, halte ich für falsch.

Damals wie heute beklagen viele mangelnde Transparenz.

Immer noch werden keine Dokumente aktiv vorgelegt. Anhörungen werden sehr kurzfristig einberufen. Und wieder – wie 2016 – kam der entscheidende Schritt durch einen Leak.

Greenpeace veröffentlichte damals den TTIP-Vertragstext, heute geht es um den Leak der sogenannten Interpretationserklärung.

Nach dem TTIP-Leak gab es Anhörungen im Bundestag, wo unterschiedliche Meinungen ausgetauscht wurden. Das haben wir im aktuellen Eilverfahren der Ratifizierung von Ceta nicht mehr gesehen. Beim letzten Ausschuss von Ex­per­t:in­nen zu Ceta waren Vertreter der Wirtschaft da, aber keine Mitglieder der Zivilgesellschaft. Die Interpretationserklärung ist immer noch nicht öffentlich. Auch die Bundestagsabgeordneten, die heute abgestimmt haben, kennen sie nicht.