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Theaterstück in GöttingenSo viel Spaß macht Integrieren

Abdul Abassi hat mit Komödienautor Philipp Löhle seine eigene Flucht- und Migrationsgeschichte dramatisiert. Die „Bombe“ zündet, aber zeitverzögert.

Foto: Thomas Müller

Göttingen liebt seinen Vorzeige-Migranten, findet ihn echt „Bombe!“ und holt unter dieser Überschrift seine Biografie auf die Bühne des Deutschen Theaters. Abdul Abbasi, Jahrgang 1994, hat aber auch fast immer alles freundlich richtig gemacht von der Ankunft bis zur Einbürgerung in Deutschland – und sich doch sein Schalk-Naturell nicht verbiegen lassen. Im nordsyrischen Aleppo aufgewachsen, wo seit 2011 Krieg herrscht, war er mit seiner Familie über Ägypten und Libyen in die Türkei geflüchtet.

Mit einem Studentenvisum kam er nach Deutschland, lernte die Sprache und studierte Zahnmedizin an der Uni Göttingen. Öffentlichkeitswirksam begleitete er als Comedian seine Assimilation und karikierte mit Freund Allaa Faham auf einem Youtube-Kanal das gegenseitige Missverstehen, also die Vorurteile und Zuschreibungen, die Deutsche und Syrer voneinander haben: Hier leben mittlerweile annähernd 900.000 Syrer:innen, die nach Tür­k:in­nen die größte Zuwanderergruppe aus Nicht-EU-Ländern bilden.

Abassi und Faham fassten ihre Erfahrungen in dem Buch „Eingedeutscht“ zusammen. Bald wurde Abbasi für Talk-Shows und die Sendung „extra 3“ gebucht und mit Integrationspreisen geschmückt. Heute ist er praktizierender Zahnarzt in Göttingen. Nachvollziehbar also der Wunsch, diese als authentische Migrationsgeschichte mit Lokalkolorit vertheatern zu wollen.

Komödienautor und Regisseur Philipp Löhle wurde dem multitalentierten Abbasi an die Seite gestellt, so dass definitiv kein Uraufführungsgebäck mit Betroffenheitszuckerguss oder Mitleidssahnefüllung zu erwarten war, sondern ein herzlich lustiger Satire-Abend, der als Anspielung aufs explosive Verhältnis von Neu- und Altbürgern eben „Bombe!“ betitelt wurde.

Aber nicht richtig einschlagen konnte: Premiere hatte das Stück am 13. März 2020, dem letzten Abend vor dem Lockdown. Eine zweite Aufführung gab es nicht. Erst jetzt, zweieinhalb Jahre später, kommt das Stück endlich im großen Haus heraus – fluktuationsbedingt komplett neu besetzt. Florian Donath, Roman Majewski, Gaia Vogel und Jenny Weichert durften zwei Wochen lang an dem Text arbeiten.

Die nächste Aufführungen

Deutsches Theater Göttingen, Großes Haus, wieder am 26. 11., 9.12., 14.1., 27.1., je 19.45 Uhr

An dem wirkt einiges inzwischen etwas historisch – etwa die chronische Terrorangst und die betüdelnden Wir-schaffen-das-Deutschen, die „Willkommen!“-Girlanden aufhängen und Geflüchtete mit Kuscheltier-Präsenten fast ersticken. Zum gegenseitigen Wohlfühlen üben die Schau­spie­le­r:in­nen mit dem Publikum ein paar Brocken Arabisch ein: „Yalla Yalla!! Salamaleikum! Allhamdulillaah!!!! Es lebe Syrien! Nieder mit Assad!“

Geschickt wechselt Löhle zwischen Comedy-Sketchen, ulkig servierten Infoblöcken – etwa zur Unterscheidung von Sunniten und Schiiten – und reflexiver Einkehr, lässt also immer wieder auch nachdenklichere Töne zu: Abbasis Wiedergänger im Stück heißt Nasim, und dessen Erstbegegnung mit dem BAMF kommt als grelle Bürokratie-Groteske daher. Dann aber streitet er mit einem Freund über die ernste Frage, ob man bis zu Assads Sturz das Land verlassen oder märtyrerhaft gegen die Schergen der Diktatur kämpfen sollte. Erfrischend derb gerät das Spiel mit Erwartungshaltungen.

Gerade befürchtet das Publikum, die Aufführung würde versuchen, brutalen Kriegsalltag auf der Bühne nachzustellen. Da wird klar, dass Nasim nur beim Spielen von „Counterstrike“ zu erleben ist. Das Publikum zuckt auch zusammen, als davon gesprochen wird, die Deutschen hätten „das größte Verbrechen, das es jemals gab“ zu verantworten, aber es statt um den Holocaust um Spezi geht, also den Mix aus Cola und Fanta. Es ist dieser Spaßfuror, mit dem Löhle/Abbasi sich auch über Islam predigende „religiöse Fuzzis“ arabischen Antisemitismus und Homophobie lustig machen, ebenso aber über positiven Rassismus im öffentlich-rechtlichen TV und die Pöbelei rechter Dumpfbacken. Provoziert wird zudem die Arroganz der Göttinger.

Jedenfalls lachen die Bürger der Universitäts-Stadt lauthals beim Bashing der kleinen TU Clausthal-Zellerfeld. Zwischendrin explodiert Nasims Hass auf „Kartoffeldeutsche“, weil er so aussichtslos lange auf sein Visum warten muss. Dann aber glücksstrahlend in Berlin landet und sagt: „Das ist also Freiheit, Farid. Schau. So fühlt sich das an.“ Farid: „Bist du am Wichsen, oder was?“ Bei seiner ersten Silvester-Feier verzweifelt Nasim, traumatisiert von Kriegslärm sinkt er beim Mitternachtsgeböller in sich zusammen.

Dieses Hin und Her im offensiven Spiel mit Klischees zeichnet den Abend genauso aus wie der fröhlich-ironische Löhle-Ton, den das Ensemble sehr gut beherrscht. Die Inszenierung überschreitet allerdings nie die Schwelle zu einer tiefer gehenden Auseinandersetzung mit den angerissenen Themen.

Die locker chronologisch an den Lebensstationen Abbasis aufgereihte Szenen-Revue führt hingegen Wokeness-befreit in unbehauene Humorzonen, in denen zugespitzte Widersprüche, kulturelle Unterschiede, unangenehme Wahrheiten und Absurditäten des Geflüchteten-Alltags nicht Angst oder wütend, sondern Spaß machen und so wohl auf viel offenere Publikumsohren treffen als das mit einem griesgrämigen Anklagewerk deutscher Migrationspolitik möglich wäre.

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