Im Dunklen wächst keine Demokratie

Kopftuch weg, Haare ab, Regime weg Illustration: Maleesha Safdari

Von Lisa Schneider, Negin Behkam
und Parwana Rahmani

Wir spüren eine Wut in uns. Viele Frauen kennen sie wohl: Seitdem wir – im Laufe unseres Aufwachsens – erkannt haben, dass die Welt für uns eine andere ist als für Männer. Immer wieder wird auf uns herabgeschaut. Wir arbeiten oft mehr und verdienen weniger. Das Risiko, dass wir Opfer partnerschaftlicher Gewalt werden, ist immer noch signifikant.

Aber: In vielen Ländern – und auch in Deutschland – ist Diskriminierung von Frauen oft keine rechtsstaatliche Ordnung mehr, sondern das Gegenteil: ein gesellschaftliches Relikt, rechtlich ahnbar.

In Iran ist die gewaltsam Unterdrückung von Frauen in nahezu jedem Lebensbereich nach wie vor Staatsdoktrin.

Das darf uns nicht kalt lassen. Ob wir eine persönliche Verbindung zu Iran haben, religiös sind oder nicht, uns Feministinnen und Feministen nennen oder nicht: Dass ein zu locker sitzendes Kopftuch den Tod einer jungen Frau, und mittlerweile vieler weiterer mutiger Iranerinnen und Iraner, in den Augen der Islamischen Republik rechtfertigt, ist unerträglich.

In den letzten vier Jahrzehnten haben die Iranerinnen und Iraner gegen die Unterdrückung durch das Regime gekämpft. Und in den vergangenen beiden Monaten haben sie ihren Widerstand auf eine neue Ebene gehoben: Seit dem gewaltsamen Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini fordern sie – von Sanandaj bis Teheran, von jungen Studentinnen bis zu Großmüttern aus der Arbeiterklasse: „Jin, Jiyan, Azadî“ – Frau, Leben, Freiheit.

Diese von kurdischen Kämpfenden geprägte Parole wird nun in ganz Iran gerufen. Die Iranerinnen und Iraner meinen es ernst, und sie geben nicht nach.

Als Journalistinnen und Journalisten müssen wir ihnen zuhören, müssen ihre Stimmen nach außen tragen, ihnen Gehör verschaffen.

Denn, um den US-amerikanischen Investigativjournalisten Bob Woodward zu paraphrasieren: Demokratie stirbt nicht nur in der Dunkelheit, sie kann dort gar nicht erst wachsen.

Und Dunkelheit ist, was das Regime versucht zu erreichen: Indem es den Internetzugang der Iranerinnen und Iraner immer wieder unterbricht, indem es versucht, seine Propaganda über die Proteste in der Welt zu verbreiten.

Die taz hat über die Demonstrationen in Iran, die mittlerweile wohl zu einer Revolution herangewachsen sind, berichtet, seitdem sie am 16. September begonnen haben. Wir haben viele verschiedene Stimmen publiziert – manche kontrovers, manche berichtend, manche sehr persönlich.

In dieser Beilage zur Revolution der Frauen sprechen Frauen aus Iran, aus den kurdischen Gebieten Irans und aus Afghanistan. Die Illustrationen wurden von einer iranischen und einer afghanischen Künstlerin gestaltet. Geplant und redaktionell betreut wurde sie von einem iranisch-afghanisch-deutschen Team junger Journalistinnen.

Sicherlich fehlen einige wichtige Perspektiven. Aber sicher ist auch: Wir werden weiterberichten, werden weiter genau hinschauen, werden weiter Raum schaffen – für die Stimmen derer, die es betrifft.