Verfrühte Weihnachten: Wenn der Glühwein dreht
Der erste Hamburger Weihnachtsmarkt hat schon längst geöffnet. Er steht im Stadtteil Wandsbek und muss sich zur Tarnung Winterzauber nennen.
Es ist ein milder Herbsttag, die Blätter sind noch auf den Bäumen, und für irgendwas mit Weihnachten ist die Zeit noch gar nicht reif. Aber dort hinten, auf der großen Verkehrsinsel, sind die Zeichen dann eindeutig: „Wandsbeker Winterzauber“ steht über dem großen Holztor, das den Eingang markiert und in dessen Inneren hinter Butzenglasscheiben Lichter leuchten.
16 Uhr, es ist die Zeit der Mütter, die mit Kinderwagen jeder Größe durch das Tor zum Karussell streben, das gleich dahinter aufgebaut ist und alles hat, was ein Karussell haben muss: altmodische Feuerwehrautos, Motorräder, auch die Polizei ist vertreten. Die Mütter filmen mit ihren Handys die Kinder, während diese ernst und gewissenhaft in ihren Gefährten sitzen.
Die Stimmung am Karussell ist gedämpft. Es glitzert und leuchtet zwar, aber die Geräusche des Verkehrs übertönen die Musik, die aus den Lautsprechern kommt. Hinter dem Karussell ist noch nicht viel los, an den Bratwurstbuden stehen die Bedienungen und langweilen sich, ebenso die beiden jungen Frauen am Punschstand. Das Nikolaushaus mit dem Briefkasten für die Wünsche ist noch leer, aber daneben, in der „Almhütte“, stehen schon zwei junge Männer mit Tirolerhüten am Außentresen.
Schaustellerfamilie Pluschies
Im Inneren öffnet sich im Halbdunkel ein Raum, der vollgestellt ist mit Alpennippes. Zwischen den Dachbalken hängen Wäscheleinen, schwere Wirtshaustische warten auf die Gäste, die noch nicht da sind, wohl aber die Wirtsleute. Sie sitzen am Tisch neben dem Tresen, er mit Hut und Winterjacke, sie im Alpenjanker. Es sind Manfred und Carla Pluschies, die Betreiber des Wandsbeker Weihnachtsmarkts, der eigentlich noch gar kein Weihnachtsmarkt sein darf, denn Weihnachtsmärkte sind in Hamburg erst in der Woche vor dem ersten Advent erlaubt.
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Das sei der Grund, warum der Markt „Winterzauber“ heißt, sagt Manfred Pluschies. „Wenn es soweit ist, stellen wir in der Mitte einen Tannenbaum auf.“ Der Winterzauber wird dann zum Weihnachtsmarkt.
Wie viele Weihnachtsmarktbetreiber sind auch die Pluschies eine Schaustellerfamilie, auf dem Hamburger Dom sind sie mit dem „Rotor“ vertreten, einem Fahrgeschäft, das sich so schnell dreht, dass die Menschen an den Wänden kleben bleiben und sich der Boden wegziehen lässt.
Doch obwohl gerade auf St. Pauli Winterdom ist, sind die Pluschies hier in Wandsbek. „Für uns Schausteller sind die Weihnachtsmärkte im Winter zur wichtigsten Einnahmequelle geworden“, sagt Manfred Pluschies, während seine Frau einen Kaffee bringt. Die Tochter sitzt an einem Tisch im Hintergrund und poliert Biergläser, auch sie ist alpenmäßig mit einer Edelweißjoppe bekleidet.
Draußen ist es schon dunkler geworden, die LED-Lichterketten leuchten, und an den Holzfässern, die als Stehtische dienen, trinken die ersten ihren Glühwein. Kalt ist es immer noch nicht. Ganz hinten in der Ecke steht eine kleine Eisbahn ohne Eis: der Boden ist aus glattem Kunststoff, die Schlittschuhe gleiten darauf ein paar Zentimeter. Um auf Geschwindigkeit zu kommen, kann man mit den Schlittschuhen eine Rampe hinunterschlittern.
Es ist 17 Uhr, die Tasse mit dem Glühwein aus der „Eisbar“ ist warm, doch nicht jeder verträgt Alkohol am Nachmittag. Da hinten, auf dem kahlen Baum, sind das nicht Schneeflocken? Die Kinder aus dem Karussell fahren über die Eisbahn. Irgendwo in der Luft hängen Schlittschuhe. Es weihnachtet sehr.
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