wortwechsel: Von Moral und die Letzte Generation
Die WM vorm heimischen TV zu boykottieren, beruhigt nur das Gewissen. Letzte Generation-Aktivist:innen polarisieren die Gesellschaft. Steinmeier hält Grundsatzrede
Ungezielte Aktionen
„Die Geister, die sie riefen“,
taz vom 2. 11. 22
Ich frage mich, warum die „Letzte Generation“ ihre recht ungezielten Blockadeaktionen nicht weiterentwickelt und zielgerichteter solche Akteure blockiert, die direkte Treiber der Klimakrise sind. Warum nicht mal LKW-Ausfahrten von Autobahnrastplätzen blockieren und so auf die hohen CO2-Emissionen des Güterverkehrs aufmerksam machen? Warum nicht Zufahrten von Firmen dicht machen, die zu den größten CO2-Schleudern gehören? Warum nicht Einfahrten von Parkhäusern bei klimaschädlichen Großevents oder im Weihnachtsrummel blockieren? Warum landen Tomatensauce und Kartoffelbrei auf Kunstwerken und nicht auf PS-starken Luxuskarossen? Gezielte Störaktionen können Veränderungsprozesse auslösen. Ungezielte oder gar menschengefährdende Aktionen können schnell kontraproduktiv werden und denen in die Hände spielen, die auf Kosten künftiger Generationen ihr Geschäftsmodell erhalten wollen.
Wolfgang Schäfer, Waldkirch
Selbstkritik
„Die Geister, die sie riefen“,
taz vom 2. 11. 22
Ob die, die bei jeder Gelegenheit die Aktionen von „Letzte Generation“ kritisieren, ihrem eigenen klimarelevanten Verhalten auch nur annähernd so kritisch gegenüberstehen? Ist ihnen wirklich nicht bewusst, dass der Klimawandel Menschenleben in noch ganz anderer Dimension gefährden wird?
Joseph Leuthner, Bestensee
Empörung
„Seine Gegenwart für die Zukunft“,
taz vom 29. 10. 22
Ich bin empört über den Ton im Umgang mit den Aktivisten von der Letzten Generation! Sie kämpfen für unser aller Überleben – wofür wir „Erwachsenen“ zu bange und zu bequem sind. Es geht um die Zukunft, egal wieviel wir davon im Einzelfall noch haben mögen. Diese Leute sind keine dummen Krawallmacher, die sinnlos Schaden anrichten. Sie haben die Lage klar erkannt und ziehen die Konsequenzen. Einen reflektierten Mann wie den hausbesuchten Jakob Beyer lese ich nicht als jugendlichen Chaoten. Seine Klarheit und sein konsequenter Mut kann nur erstaunen und es wäre schön, wenn unsere Wumms-Politiker von Scholz bis Buschmann das erkennen und den Dialog mit diesen Leuten suchen würden.
Ulrike Nefferdorf, Bochum
Gaspreisdeckel
„Zweifel an der Pool-Subvention“,
taz vom 1. 11. 22
Der in Deutschland angedachte Gaspreisdeckel ist zu kompliziert, sozial unausgewogen, begünstigt Großverbraucher, schafft Probleme bei Wohnungswechsel und bringt für Großverbraucher zu wenig Anreize zum Energiesparen. In den Niederlanden soll im November und Dezember jeder Haushalt eine pauschale Erstattung auf seine Gasrechnung von jeweils 190 Euro bekommen. Auch die dort 2023 einsetzende Gaspreisbremse begünstigt bewusst nicht diejenigen Großverbraucher, für die Energiesparen in der Vergangenheit ein Fremdwort war: In den Niederlanden sollen allen Haushalten einheitlich bis zu 12.000 Kilowattstunden Gas zum gedeckelten Preis gewährt werden.
Ruth Gores, Kelmis
Demokratie in Gefahr
„Ein Hauch Blut, Schweiß und Tränen“,
taz vom 28. 10. 22
Der Bundespräsident Steinmeier hält nun eine Grundsatzrede an seine „Lieben Mitbürgerinnen“, um eine „Zukunft“mit Bescheidenheit zu prognostizieren, doch soll es auch gerecht zugehen bei der Verteilung der Lasten. Wir leben nicht mehr in Europa in einer Zeit, wo Milch und Honig fließen. Im Gegenteil, es ist Krieg in Europa – die Autokraten und rechten Denker sind auf dem Vormarsch, regieren in Italien und Schweden. Die Demokratie ist ernsthaft in Gefahr, viel Blut und Tränen fließen auf dem Schlachtfeld in der Ukraine, die Zeitenwende bei uns beantwortet Olaf Scholz mit einem „Wumms“.
Thomas Bartsch Hauschild, Hamburg
Mutmacher?
„Ein Hauch Blut, Schweiß und Tränen“,
taz vom 28. 10. 22
Die Übung im Luftschutzkeller zu Kiew scheint Frank-Walter Steinmeier einigermaßen zufriedenstellend gemeistert zu haben.
Kaum ist er nach Deutschland zurückgekehrt, belehrt uns dieser Meister seines Faches, wie wir uns benehmen sollen, und gleichzeitig malt er dabei (s)ein düsteres Zukunftsszenario an jede Wand. Solche exzellenten Mutmacher an vorderster Front, die braucht unser Land, die brauchen wir, sonst sind wir alle auf der Stelle verloren.
Klaus P. Jaworek, Büchenbach
Im Sauseschritt
„Bundesweites 49-Euro-Ticket kommt“,
taz vom 2. 11. 22
Überflüssiges wie das 49-Euro-Monats-Ticket, das wird von unser Volksvertretung für ihre Verhältnisse wirklich rasend schnell, nämlich im Sauseschritt beschlossen. Wer sich in dieser momentanen Wirtschaftskrise so ein Ticket überhaupt noch leisten kann, das interessiert diese Politiker weniger bis gar nicht.
Wieviel sind gleich wieder 49 Euro mal 12 so ganz grob im Jahre hochgerechnet? Wie soll ich jetzt in der Gegend herumkurven, wenn meine Kasse chronisch leer ist und wenn der Magen knurrt? Na gut, ich könnte mich im kalten Winter einen Monat lang während der Bahnfahrt wärmen, falls die Heizung funktionieren sollte! Aber was ist heute noch sicher in diesen unsicheren Zeiten!
Ulrike Schwarz, Büchenbach
Moral
„Bleibender Zwiespalt“,
taz vom 1. 11. 22
Na das passt doch perfekt. Diesen Winter Strom sparen und außerdem voller – unübertriebenem- guten Willlen ein bisschen die WM in Quatar boykottieren. Ich denke, ich guck nur etwa jedes vierte Spiel. Und zwischendurch klopfe ich mir auf die Schultern. Das hält neben dem moralischen Selbstwertgefühl auch den Körper ziemlich warm.
Wolfram Hasch, Berlin
Boykott größer aufziehen
„Bleibender Zwiespalt“,
taz vom 1. 11. 22
Die WM in Katar ist großer Mist. In jeder Hinsicht. Alle Fakten und Argumente sind längst ausgetauscht. Aber zu glauben, man boykottiere die WM, weil man zu Hause die Glotze aus lässt, höre und lese ich immer wieder. Dabei isses der größte Unsinn und taugt maximal fürs eigene Gewissen. Es sei denn, man gehört zu den 5.000 Haushalten, die freiwillig ihre Daten per Messrouter übermitteln. Man kann Fanartikel boykottieren, Public-Viewings, eventuelle Streaming-Angebote und FIFA-Großsponsoren. Aber am heimischen TV boykottiert man effektiv gar nix.
DEEP SOUTH auf taz.de
Zentralbankdilemma
„Annahmen eines Bankers“,
taz vom 22. 10. 22
Die Unabhängigkeit der europäischen Zentralbank ist eine nette Umschreibung dafür, dass sie sich demokratischer Kontrolle entziehen kann. „Würden die Menschen das Geldsystem verstehen, hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh“. Diese Aussage wird dem Autopionier Henry Ford zugeschrieben. Falls an dieser Aussage etwas Wahres dran ist, können Zentralbanken kein Interesse an öffentlichen Diskussionen haben, zumal jedes öffentliche Statement einer Zentralbank zu Reaktionen auf den Märkten führen kann. Sie müssen sich hinter komplexen ökonomischen Theorien verstecken.
Peter Brass, Steinhausen
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