zentralasien
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Baerbocks Spagat in Zentralasien

Bei ihrem Besuch im kasachischen Astana versucht sich die grüne Außenministerin in wertegeleiteter Außenpolitik. Dazu gehören faire Wirtschaftsbeziehungen auf Augenhöhe

Auf ihrer dreitägigen Reise nach Kasachstan und Usbekistan besucht Annalena ­Baerbock in Taschkent auch eine Schule Foto: Fabian Sommer/dpa

Aus Astana Tanja Tricarico

Das Fundament für Menschenrechtsarbeit befindet sich im 14. Stock eines in die Jahre gekommenen Plattenbaus. Mitten im Zentrum der kasachischen Hauptstadt Astana, an einer viel befahrenen Hauptstraße. Dort oben treffen sich Aktivist:innen, Menschen, die sich um die gesellschaftliche Lage in ihrem Land sorgen. Sie kümmern sich um Journalist:innen, beobachten die Vorbereitungen für die Präsidentschaftswahlen am 20. November, wollen Frauenrechte stärken. Drei von ihnen warten an diesem Tag auf die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock.

Wer in das Gebäude will, muss an einem Mini-Supermarkt vorbei, einem Matratzenladen, einem kleinen Café. Es riecht eigentümlich nach einer Mischung aus scharfem Putzmittel und verbrannten Reifen. Oben angekommen wirken die bunt bemalten Wände des Flurs eher wie ein abgehalfterter Jugendclub als ein Menschenrechtszentrum. Der Raum für das Treffen mit der Außenministerin ist karg eingerichtet – ein paar Klappstühle, ein Flipchart, ein Schränkchen für Tassen und die Kaffeemaschine. Über eine Stunde sitzt Baerbock dort mit den drei Ak­ti­vis­t:in­nen und tut das, was sie vor Beginn ihrer Reise angekündigt hat: zuhören.

Die Grünen-Politikerin besucht Kasachstan zum ersten Mal. Ein Amnesty-International-Report über das zentralasiatische Land bescheinigt dem Staat eher eine durchschnittlich bis schlechte Lage, was die Einhaltung von Grund- und Menschenrechten angeht. Eingeschränkte Versammlungs- und Meinungsfreiheit, Repressionen gegen Regime­kritiker:in­nen, Stigmatisierung von LGBTIQ-Personen, Diskriminierung von Menschen mit Behinderung: Die Liste der Verwerfungen ist lang. Nach den Ausschreitungen im Januar diesen Jahres kam es zu Festnahmen, es gibt Berichte über Folter und Gewalt gegen die Demonstrant:innen. Die Regierung Kasachstans verspricht Aufklärung. Doch die lässt auf sich warten.

Baerbock will ihr Credo einer wertegeleiteten Außenpolitik hier bewusst setzen. Und sie will die deutschen, die europäischen Wirtschaftsbeziehungen mit dem zentralasiatischen Land stärken. Der Zeitpunkt ihrer Reise ist gut gewählt. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verschieben sich historisch gewachsene Verbindungen weltweit. In Zentralasien ist es Kasachstan, das den Kurs Putins zwar nicht ausdrücklich kritisiert, aber auch nicht unterstützt.

Offensichtlich wurde diese Haltung beim Internationalen Wirtschaftsforum im Juni in Sankt Petersburg. Präsident Kassym-Schomart Tokajew kündigte dort an, dass Kasachstan die ostukrainischen Separatistenrepubliken Donezk und Luhansk nicht als selbstständige Staaten anerkennen werde. Auch bei der UN-Vollversammlung im März, die mit großer Mehrheit den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilte, setzte Kasachstan ein Zeichen. Das zentralasiatische Land enthielt sich bei der Abstimmung über diese „historische“ Resolution, wie UN-Generalsekretär Antonio Guterres sie nannte.

Und das obwohl die Abhängigkeiten von Russland groß sind. Kasachstan ist Mitglied in der von Moskau geführten Organisation des Vertrags über Kollektive Sicherheit. Als es im Januar zu Demonstrationen und Ausschreitungen im Land kam, rief Kasachstan auch Russland zu Hilfe. Die gemeinsame Grenze beider Staaten ist über 7.600 Kilometer lang, eine russische Mehrheit lebt in Gebieten im Norden des Landes. Im Zuge der Teilmobilisierung in Russland flohen rund 200.000 Rus­s:in­nen nach Kasachstan. Hinzu kommen natürlich etliche wirtschaftliche Verbindungen. Es geht um Rohstoffe, um Öl, um Gas, um gemeinsame Transportwege.

Noch kurz vor dem Treffen mit den Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t:in­nen war die deutsche Außenministerin Baerbock in einer anderen Welt. Ihr kasachischer Kollege Muchtar Tleuberdi empfing sie im herrschaftlichen Palast des Außenministeriums. Vergoldete Treppengeländer, Marmorsäulen im Empfangsraum, ein echter Staatsempfang eben. Baerbocks Angebot an Tleuberdi: faire, verbindliche Wirtschaftsbeziehungen. Auf Augenhöhe, wie die deutsche Außenministerin es nennt, sollen diese laufen. Für Baerbock gehen wirtschaftliche Interessen und Rechtsstaatlichkeit, die Einhaltung von Menschenrechten, zusammen. Nur wenn es die Sicherheit gebe, dass diese Regeln auch eingehalten würden, könnten auch wirtschaftliche Beziehungen gelingen, betont sie. „Nachhaltiger Wohlstand entsteht nur dort, wo die Rechte der Menschen gewahrt und geschützt sind.“ Es sind Sätze wie diese, die nachhallen sollen. Nicht nur in Kasachstan.

„Nachhaltiger Wohlstand entsteht nur dort, wo die Rechte der Men­schen gewahrt sind“

Annalena Baerbock, Außenministerin, in Kasachstan

Baerbock lobt öffentlich die Haltung der kasachischen Regierung gegenüber Russland und sagt ihre Unterstützung zu. Vermutlich zieht Amtskollege Tleuberdi nicht ganz dieselben Schlüsse. Nach dem Treffen mit seiner Kollegin Baerbock erwähnt er den russischen Angriffskrieg kein einziges Mal bei einer offiziellen Pressebegegnung. Stattdessen schwärmt er über die geplante Zusammenarbeit bei grünem Wasserstoff am Kaspischen Meer. Kern dabei ist die EU-Initiative Global Gateway. Bis zu 300 Milliarden Euro sollen über die EU in die Infrastruktur von Schwellen- und Entwicklungsländern fließen. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel war vor Kurzem in Astana, um für das Projekt zu werben. Baer­bock bestärkt nun das Vorhaben und bringt als Beweis gleich eine 10-köpfige Wirtschaftsdelegation mit nach Kasachstan, die den Deal vorantreiben soll. Gelingt die Zusammenarbeit, könnte dies nicht nur die Bindung Zentralasiens an den Westen stärken, sondern auch Chinas Pläne für eine „Neue Seidenstraße“ ausbooten.

Seit 30 Jahren bestehen die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Baer­bock spricht bei ihrem Antrittsbesuch in Astana vorsichtig Klartext. Die deutsche Außenministerin weist auf Reformen hin, die angegangen werden müssen. Aber viel länger spricht sie über ein Wasserstoffbüro, das bald eröffnet werden könnte, vom großen Potenzial für Wind- und Sonnenenergie. Ein Windpark – so groß wie Brandenburg, Baerbocks Heimatbundesland – soll entwickelt werden. Von einem deutschen Unternehmen. Kasachische Unternehmer und deutsche In­ves­to­r:in­nen sind also zuversichtlich, dass sie irgendwie zusammenkommen.

Im 14. Stock des Plattenbaus unweit des kasachischen Außenministeriums sind weder Windparks noch Milliardeninvestitionen Thema. Es geht darum, wie junge Menschen geschützt werden können, welche Perspektive sie in Kasachstan haben. Baer­bock hört zu. Und eilt dann zum nächsten Termin.