Und noch ein weiteres großes Licht zum Fest

Diwali ist der wichtigste Feiertag der Hindus – im United Kingdom feiern viele dieses Jahr auch, dass der neue Premierminister einer der ihren ist. Aber ist er das wirklich? Ein Stimmungsbild aus dem Londoner Nordwesten

Londoner begehen das Diwali-Fest im Nordwesten der Stadt Foto: Andrew Testa/NYT/redux/laif

Aus Harrow Daniel Zylbersztajn-Lewandowski

Schwefel und Rauch stehen in der Luft. Aus allen Richtungen knallen ­Böller. Grellbunte und strahlend glitzernde Feuerwerke erhellen den Nachthimmel, beobachtet von ganzen Familien. Es ist der Beginn des Lichterfests Diwali, der wichtigste Hindu-Feier­tag. „Das ist ein ganz besonderes Fest heute“, sagt Suni Guptabegeistert. „Erst gab es den Sieg Indiens im Cricket über Pakistan am Sonntag in Melbourne. Dann hörten wir, dass der neue britische Premierminister indischen Hintergrund haben wird. Und jetzt ist auch noch Diwali. Wir feiern heute also gleich drei Dinge auf einmal!“

Harrow, im Nordwesten Londons, hat mit 25 Prozent den höchsten Hindu-Bevölkerungsanteil in ganz Großbritannien. Sind es im Vereinigten Königreich an die 5 Prozent (circa 3,6 Millionen Menschen), haben in Harrow 42 Prozent eine Familiengeschichte, die irgendwie mit dem indischen Subkontinent zusammenhängt. Einige stammen aus Familien, die nach der Teilung Indiens nach Großbritannien kamen, manche sogar vorher, andere flüchteten in den 1970er Jahren aus Uganda oder Kenia, und immer mehr sind neue Einwanderer, die in den letzten Jahren mit Arbeitsvisa oder im Rahmen der Familienzusammenführung nach Großbritannien kamen.

Es sind Leute wie Suni Gupta, ein IT-Experte, der in feierlicher Kurta auf dem Parkplatz vor einem Wohnhaus Feuerwerke zündet. Der 43-Jährige zog vor wenigen Jahren aus Indien nach London. Harrow ist neben der Stadt Leicester ein beliebtes Ziel für indische Mi­gran­t:in­nen, besonders wegen des im Jahr 1572 gegründeten Eliteinternats Harrow, das als weniger exklusiv, aber nicht weniger prestigeträchtig gilt als Eton. In Harrow ging einst nicht nur Winston Churchill zur Schule, sondern von 1905 bis 1907 auch Indiens erster Ministerpräsident Jawaharlal Nehru. So überrascht es nicht, dass in Harrow und den umliegenden Stadtteilen inzwischen viele Hindu-Tempel stehen; Europas größter befindet sich im Nachbarviertel Neasden.

Wer sind die Menschen indischer Abstammung im Vereinigten Königreich? Eine Regierungsstudie aus dem Jahr 2021 gibt an, dass Neu­ein­wan­de­r:in­nen oft arm und wirtschaftlich hinter weißen Bri­t:in­nen standen, dass jedoch bereits die zweite Generation in Großbritannien in zahlreichen hochqualifizierten Berufssparten, etwa in medizinischen Bereichen zu finden ist und beruflich und per Einkommen oft weiße Bri­t:in­nen überholt haben.

Da unter diesen In­de­r:in­nen ein höherer Anteil vor der Einwanderung für britische Kolonialregierungen oder als Geschäftsleute arbeiteten, konnten sie in Großbritannien in höheren Berufssparten einsteigen als andere Ein­wan­de­r:in­nen, etwa aus Bangladesch oder Pakistan. Manche kamen mit fertigen Studienabschlüssen.

Viele der ersten Generation, insbesondere wenn sie aus afrikanischen Ländern flüchteten, tendierten zur konservativen Partei, jedoch nicht ohne Grund: Es waren Harold Macmillans und Edward Heaths konservative Regierungen, die die Einwanderung indischer Menschen aus Kenia und Uganda bewilligten, zum Teil gegen laute Stimmen aus der Labour-Partei. Beziehungen zu Indien innerhalb der konservativen Partei werden seit Langem gepflegt, so gibt es einen eigenen indischen konservativen Freundeskreis. In­diens BJP wiederum soll laut zahlreicher Berichte bei der Wahl von 2019 versucht haben, britische Hindus dazu anzuspornen, für die Torys zu stimmen, da Labour im Kaschmirkonflikt nicht auf In­diens Seite stand.

Die politische Geschichte eingewanderter In­de­r:in­nen begann bereits vor 130 Jahren, als Dadabhai Naoroji Großbritan­niens erster Unterhausabgeordneter mit indischem Hintergrund für das Londoner Viertel Finsbury wurde. Was hätte er wohl dazu gesagt, dass einmal der Premierminister einen ähnlichen Hintergrund haben würde?

In Harrow ging nicht nur Churchill zur Schule, sondern auch Nehru

„Möge unter Sunak die britische Wirtschaft so hoch nach oben steigen wie dieses Feuerwerk heute“, wünscht sich in Harrow der 40-jährige Unternehmensberater Vinod Dayalu enthusiastisch und blickt in den Himmel. Neben ihm steht Dipti Singh, 40, die im Personalwesen arbeitet. Sie findet, dass der 42-jährige Rishi Sunak ein wunderbares Vorbild für die nächste Generation sei. Auch Nachbar Lascha, 48, der Diwali mit­feiert, obwohl er selber nicht aus Indien, sondern aus Georgien stammt, lobt Sunak. „Als Finanzminister war er wirklich beeindruckend, als er etwa die staatlichen Kurzzeitgelder während der Lockdowns organisiert hat. Ich habe keinerlei Bedenken mit ihm als Premier.“

Doch eine Straßenecke weiter gibt sich der 30-jährige Buchhalter Akrit Sharma vorsichtiger, auch wenn einige Familienmitglieder und Freunde bei der Erwähnung des Namens Rishi Su­nak gleich beglückt jubeln. Sicher sei es gut, dass Sunak indischen Hintergrund habe, aber „man muss doch erst mal sehen, ob sich Sunak als Premierminister beweisen kann. Das geht erst in ein paar Monaten. Sunak hat zwar indischen Familienhintergrund, aber er ist gleichzeitig „so britisch, wie man nur britisch sein kann“. Ob diese Bemerkung als Kompliment oder distanzierend gedacht ist, bleibt offen.

Auf Sanka Nathan, 33, der im pharmazeutischen Bereich arbeitet, und seine Frau Sinthuja Yoga, 30, eine Beraterin im Nachhaltigkeitsbereich – beide sind, wie Sunak, in England geboren – stößt der taz-Korrespondent auf deren gemeinsamen Nachhauseweg. „Happy Diwali ebenfalls“, sagen sie beiden zunächst, bevor sie berichten, dass sie, was Rishi Sunak anbelange, nicht ganz einer Meinung seien. „Sunak hin und her, mir persönlich wären Neuwahlen eigentlich lieber. Wir sollten aufgrund der wirtschaftlichen und klimatischen Lage und weil das jetzt der dritte Premier innerhalb einer Legislaturperiode ist, als Bür­ge­r:in­nen die Wahl haben, wer das Land regieren darf“, findet Yoga, die dann Labour wählen würde. Nathan sieht Sunaks Ernennung als positives Zeichen der gesellschaftlichen Veränderungen. Doch auch er meint: Erst Wahlen würden zeigen, ob die Briten tatsächlich bereit seien, einen Politiker wie Sunak als Premierminister zu akzeptieren.

Etwas anderes ist die Frage, inwieweit Sunak überhaupt repräsentativ ist für Menschen mit indischem Familienhintergrund in Großbritannien. Nathan und Yoga verweisen auf Sunaks private Schulbildung und seinen Reichtum. „Nur ein kleiner Teil der Community ist so wie er“, sagt Nathan und kommt auf die Harrow School zu sprechen, nicht weit von hier. „Das ist eine ganz andere Welt als die, in der wir leben.“

Yoga stimmt zu und erinnert sich plötzlich, wie Sunak im konservativen Wahlkampf im Sommer Gelder für die ärmsten Bezirke relativ gut dastehender Landregionen versprochen hatte. „Wird Sunak so wie Priti Patel und Suella Braverman weiter Deportationen von Flüchtlingen nach Ruanda befürworten?“, fragt sie dann. Die aktuelle und die frühere Innenministerin sind beide ebenfalls indischer Abstammung.

Rishi Sunak, neuer Premierminister Foto: Henry Nicholls/reuters

Kamlesh Soni, 42, Besitzer eines indischen Restaurants in Harrow, glaubt jedoch, dass Sunak der richtige Mann sei. „Dass Sunak Eltern indischer Abstammung hat, ist in unserer globalisierten Welt, in der wir als Menschen alle vor den gleichen Herausforderungen stehen, kein Thema mehr“, glaubt er.

Die Freude über Sunak ist nicht auf Hindus beschränkt. Der gut 60 Jahre alte Ahmed, beim Abendspaziergang mit seiner Frau befragt, antwortet: „Ich bin Muslim aus Pakistan und finde es gut, dass Sunak Pre­mier­mi­nis­ter ist. Es ist einfach gut für die Menschenvielfalt. Und er war ein guter Finanzminister.“

Am U-Bahnhof Har­row-on-the-Hill erzählt ein 40-jähriger Politikabsolvent, der sich Jason nennt, von seinem irischen Vater und seiner indischen Mutter und wie er in Brixton in einem Sozialbauviertel aufgewachsen sei. „Meine Kindheit war völlig anders als die Sunaks.“

Ist Sunaks Wahl trotzdem ein Zeichen fallender Barrieren? „Ja, zum einen schon. Vor 20 Jahren wäre so was sicher nicht passiert. In meiner Jugend gab es große Vorurteile gegenüber Menschen brauner Hautfarbe. Heute ist es möglich, trotzdem Fußball zu spielen oder eben Politiker zu werden.“ Doch Jason glaubt, dass parallel zur gestiegenen Chancengleichheit auch der Rassismus stärker geworden sei, angefeuert durch soziale Medien. Sollte Sunak sich so negativ zur Zuwanderung äußern wie Patel und Braverman, wäre das eine Enttäuschung. Die Appelle rechter Medien, Sunak möge neben den erhofften Schritten zur wirtschaftspolitischen Stabilisierung als Erstes Maßnahmen gegen die illegalen Flüchtlinge auf dem Ärmelkanal treffen, zeigen schon, woher der Druck kommt.