: Weizen For Future!
Klimawandel und Kriege gefährden die globale Ernährungssicherheit. Doch wie lassen sich Erträge steigern, ohne die Umwelt weiter zu belasten? Forscher haben einige Lösungen
Von Kathrin Burger
Weizen, Triticum aestivum L., hat seit seiner Entstehung vor rund 10.000 Jahren eine beachtliche Karriere hingelegt. Einst eines von vielen Wildgräsern, ist er heute Grundnahrungsmittel von rund 2,5 Milliarden Menschen. Derzeit wird Weizen auf rund 220 Millionen Hektar Acker in 89 Ländern angebaut. Grund für die Erfolgsstory ist auch der Einsatz von Düngern und Pestiziden. Im Mittel kann ein Landwirt heute 3,4 Tonnen Weizen pro Hektar ernten.
Was Mägen füllt, schadet jedoch der Natur: Nitratbelastung von Gewässern, Förderung von Pestizid-Resistenzen sowie der Verlust der Artenvielfalt. Innerhalb der letzten 40 Jahre ist zudem ein Drittel der fruchtbaren Oberböden durch die intensive Landwirtschaft verloren gegangen. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO schätzt jedoch, dass die Weizenproduktion bis 2050 um 77 Prozent zulegen müsste, um die wachsende Weltbevölkerung zu versorgen. Gleichzeitig wird der Klimawandel auf den Äckern wüten oder tut dies schon: Hitze, Dürre, Versalzung, mehr Pflanzenkrankheiten – all das mindert die Erträge.
Was tun? Das fragt man sich darum in vielen Forschungsinstituten dieser Welt, etwa auch in Freising, Weihenstephan, im Labor des Agrarwissenschaftlers Senthold Asseng. Er hat berechnet, dass sich mit jedem Grad Erderwärmung der Weizenertrag je nach Region um 1 bis 6 Prozent reduzieren wird.
Doch der Freisinger Forscher arbeitet auch an Lösungen. In einer 2020 erschienenen Studie hat er untersucht, ob Vertical Farming die Weizenerträge steigern kann. Dafür simulierten er und sein Team ein Hochhaus, 120 Meter hoch, das in jeder der 100 Etagen bis zu 50 cm hohe Weizenpflanzen beherbergt. Eine von der NASA für die Raumfahrt entwickelte Weizensorte wächst dort ohne Boden und wird rund um die Uhr mit Licht, Nährstoffen, Wasser, Raumklima versorgt. Bis zu fünf Ernten pro Jahr wären so möglich, so Asseng. Normalerweise sei es nur eine.
Dadurch sind die Erträge 6.000-mal höher als auf dem Acker. Zudem werden ohne die Keime aus dem Boden keine Pestizide benötigt und auch das Wasser kann zu 90 Prozent wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden. Die Crux: Der immens hohe Energieverbrauch durch Beleuchtung und Klimatisierung. Das daraus hergestellte Brot ist dadurch unbezahlbar. „Sicher müsste Vertical Farming subventioniert werden, aber das müssen auch Produkte, die vom Acker stammen“, meint Asseng.
Ein anderer Ansatz ist, Umweltschutz mit dem konventionellen Anbau zu versöhnen. Wissenschaftler analysieren, was viele Bio-Bauern tagtäglich auf dem Acker praktizieren: Fruchtfolgen, Mischkulturen, Blühstreifen oder Mulchen. Fruchtfolgen etwa, also der Anbau von verschiedenen Pflanzen nacheinander, verbessern den Humusgehalt und damit auch die CO2-Bindung im Boden. Zudem spart man mineralischen Dünger, wenn vor der Aussaat des Winterweizens auf dem Feld Hülsenfrüchte wie Ackerbohnen wachsen. Denn diese fixieren Stickstoff aus der Luft, der dann auch dem Weizen zugute kommt. Die Weizenerträge legten in einem finnischen Langzeit-Feldversuch um 13 bis 30 Prozent zu, wenn sie abwechselnd mit Raps, Erbsen und Gerste wuchsen.
„Die Wissenschaft muss noch viel besser begreifen, wie Ökosysteme funktionieren, von der Streuobstwiese bis zur Savannenlandschaft“, sagt Beat Keller, Pflanzengenetiker an der Universität Zürich. „Jede Pflanze hat in einem solchen Räderwerk eine Funktion.“ Der zunehmende Fokus auf eine Ökologisierung der Landwirtschaft führt auch dazu, dass man nicht nur herkömmliche Getreide wie Weizen erforscht, sondern Hirse oder Quinoa, die mit Dürre besser umgehen können.
Andere Forschende beschäftigen sich mit der Genetik der Pflanzen, um Weizen gegen Hitze, Dürre oder Schaderreger wie den Mehltau immun zu machen. Mithilfe von Genscheren kann man in der Pflanze vorhandene Gene an- und ausschalten. Diese vergleichsweise neue Technik unterscheidet sich also von der herkömmlichen Methode, bei der Fremdgene in Pflanzen geschleust werden. Dennoch ist auch diese Methode umstritten.
Und beim Weizen ist die Anwendung auch höchst diffizil. Er besitzt durch seine Entstehungsgeschichte – zuerst Kreuzung von Einkorn mit wildem Süßgras, dann Kreuzung mit wildem Ziegengras – drei Chromosomensätze. Das Weizengenom umfasst 90.000 Gene, beim Menschen sind nur 25.000. „Dieses komplexe Erbgut lässt sich nicht so leicht mit An- oder Abschalten einzelner Gene verändern“, sagt Asseng. Denn Eigenschaften wie Hitzetoleranz oder Ertrag kämen durch ein Zusammenspiel vieler Gene mit den Wachstumsbedingungen zustande. Man spricht von „Gen-Umwelt-Interaktion“.
Darum sieht er kritisch, dass vor allem große Saatgutkonzerne versprechen, dass allein durch Gentechnik die Ernährung gesichert werden könne. Zudem ist die Brücke von Genetik zu Praxis kaum verstanden: „Wir können bei einer Modellpflanze Gene für Eigenschaften identifizieren, aber wie sich die Gene auf dem Feld mit seinen speziellen klimatischen Bedingungen verhalten, wissen wir kaum“, sagt Asseng. Wohl auch deshalb hat es bislang keine durch die Genscheren verbesserte Weizensorte auf den Markt geschafft.
Die konventionelle Züchtung hat diese Hürde nicht, da man hier nur auf dem Feld testet. Pflanzen, die nicht die gewünschte Eigenschaft besitzen, werden einfach nicht weiter vermehrt. Diese Art der Züchtung wird von der Öffentlichkeit wenig beachtet, obwohl seit Jahrzehnten weltweit immer wieder neue Sorten zugelassen werden, die Pilzbefall besser überstehen oder mehr Ertrag liefern. Derzeit werden durch konventionelle Züchtung jährlich 1 bis 2 Prozent der Weizenerträge gesteigert. „Der auf klassischer Kreuzungszüchtung beruhende Ertragsfortschritt ist beachtlich“, sagt Jochen Reif vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK).
Vor allem durch Kreuzung mit alten Sorten können Eigenschaften wie tiefere Wurzeln, wachsbeschichtete Blätter und ein Mehr an Stresshormonen, was die Immunabwehr stärkt, in ertragreiche Sorten überführt werden. Jochen Reif hat gerade mit Kollegen in alten und exotischen Sorten Resistenzgene gegen den gefürchteten Gelbrost aufgespürt. Der Pilz überzieht Blätter und Ähren mit Pusteln und kann zu starken Ertragsverlusten führen. Auf jeden Fall steckt noch weiteres Potenzial in der Genetik: Der Freisinger Wissenschaftler Asseng hat kürzlich berechnet, dass 50 Prozent mehr Erträge möglich sind, wenn man alle genetischen Möglichkeiten ausreizen würde.
Und das muss nicht mit Gentechnik geschehen. Forschende arbeiten zum Beispiel auch an modernen Sensortechniken, um Information über Trockenstress oder Pilzresistenzen im Zuchtgarten zu erhalten und damit die Züchtung zu beschleunigen. Ein Beispiel: Weizenpflanzen, die tief wurzeln, sind besser gegen Dürre gewappnet. Nun versuchen Forscher Marker zu finden, die Pflanzen mit dieser Eigenschaft frühzeitig im Feldversuch ausfindig machen. „Das könnte etwa mithilfe der Bestandestemperatur gehen“, sagt Henning Kage, Agrarwissenschaftler an der Universität Kiel. „Eine Pflanze, die stärker transpiriert, ist auch besser mit Wasser versorgt und damit kühler.“ Und diese Temperatur kann man über Drohnen, die mit Thermalkameras versehen sind, messen.
Sicher ist jedoch, dass die Wissenschaft das Problem möglicher Weizenengpässe nicht allein lösen kann. So wäre es etwa wichtig, dass in Industrienationen weniger Fleisch auf die Teller käme. Denn das Vieh wird mit Weizen, Mais und Soja gepäppelt. Auch die Lebensmittelverschwendung ist groß. Würden alleine diese Verluste gemieden, käme das einem Ertragszuwachs von 30 Prozent gleich.
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