berliner szenen
: Oktober
im
Freibad

Das Prinzenbad ist immer noch offen. Als Experiment. Mal gucken, wie viele Leute bei Herbsttemperaturen noch kommen, wenn das Becken nicht mehr geheizt wird. Das interessiert mich auch. Einfach um zu gucken, fahre ich ohne Badezeug hin, kaufe eine Karte und schiebe mich durchs Drehkreuz.

Eigentlich ist alles wie im Sommer, bloß halt kälter. An der Kasse sitzt sogar derselbe Mitarbeiter wie im September. Das hintere Becken ist abgesperrt. Das vordere, das bei Prinzenbadfans „Bergsee“ heißt, weil es immer eiskalt ist, kann benutzt werden.

Ein halbes Dutzend Badegäste ist da – alles Damen im mittleren Alter. Niemand trägt die Neopren-Schwimmanzüge, die neuerdings ausdrücklich erlaubt sind. Alle Besucherinnen sind im Badeanzug. Mich friert schon beim Hinsehen.

Ich schlendere auf den Wegen und der Liegewiese herum, als wäre ich im Stadtpark. Auf der Terrasse vor dem geschlossenen Imbiss sitzt eine vermummte Gestalt auf einer Bank und trinkt aus einer Thermoskanne. Auf dem Rasen liegt ein einsamer Mann in dicker Jacke mit einem Buch auf einem Handtuch und liest. Er wirkt, als hätte er nicht bemerkt, dass der Sommer vorbei ist, oder sei einfach im Juli hier vergessen worden.

Ansonsten ist es geisterhaft leer. Ich laufe weiter und komme zu der neuen Schwimmhalle an der Gitschiner Straße. Überraschenderweise ist sie offen, und ich werfe einen Blick hinein. Hier könnte man sogar schwimmen, wenn man keine Bibberrekorde brechen will, was auch drei Menschen tun.

Als ich wieder hinaus auf die Liegewiese trete, reißen plötzlich die Wolken auf und eine helle Sonne scheint auf den Rasen. Auf einmal sieht es wieder aus wie im Sommer, und man fragt sich unwillkürlich, wo denn die ganzen Leute sind.

Tilman Baumgärtel