orte des wissens
: Ex­per­t*in­nen fürs Matschbuddeln

Das Niedersächsische Institut für historische Küstenforschung untersucht, wie sich Besiedlung, Vegetation und Landschaft an der Nordseeküste verändert hat

Überregional bekannt wurde die Landesstelle durch die vollständige Ausgrabung der Dorfwurt Feddersen Wierde

Buddeln, um Belege zu finden für die vermeintliche Überlegenheit der „germanischen Rasse“: Das hatten die Nationalsozialisten, die deswegen überall archäologische Forschung förderten, mit der 1936 am Landesmuseum in Hannover eingerichteten „Provinzialstelle für Marschen- und Wurtenforschung“ im Sinn.

Ab 1938 begann eine Handvoll Mit­ar­bei­te­r*in­nen zu graben, im längst durch den Bau der Marinebasis geprägten Wilhelmshaven, im Rahmen von Baugrunduntersuchungen der Marine und an Wurten, also zum Hochwasserschutz aufgeworfene Hügel, die beim Bau der Basis zerstört werden sollten. Ab 1939 forschte die Provinzialstelle als Mitglied der „Forschungs- und Lehrgemeinschaft Das Ahnenerbe“.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es 1949 als Niedersächsische Landesstelle für Marschen- und Wurtenforschung weiter. Bis 1962 gruben die Wur­ten­for­sche­r*in­nen an der Dorffurt Hessens, in den 1960ern im ostfriesischen Reiderland und im Land Wursten. Überregional bekannt wurde die Landesstelle dann durch die vollständige Ausgrabung der bei Bremerhaven gelegenen Dorfwurt Feddersen Wierde, weil mit der dabei verwendeten Ausgrabungsmethode und der Einbeziehung naturwissenschaftlicher Untersuchungen wissenschaftliches Neuland betreten wurde. Aus der Landesstelle wurde ein dem Kultusministerium unterstelltes Landesinstitut.

Seit seinem 50. Geburtstag 1988 heißt es nun „Niedersächsisches Institut für historische Küstenforschung“ (NIhK) und beschäftigt sich, so die Selbstbeschreibung auf der Homepage, mit „der Entwicklung der Besiedlung, der Landschaft und der Vegetation in den Küstenzonen des norddeutschen Raums und der benachbarten Landschaften vom Ende der letzten Eiszeit bis in die Moderne hinein“.

Seitdem beackert das Institut ein breites Forschungsfeld. Seit den 1960ern erforscht es auch das küstennahe Geestgebiet zwischen Elbe und Ems, um dessen Siedlungs- und Gesellschaftsstrukturen mit jenen des Marschlandes zu vergleichen. Untersucht werden vor allem naturräumlich begrenzte Mikroregionen, um Veränderungen von Lebens- und Umweltbedingungen in unterschiedlichen Epochen in die Forschung einzubeziehen, von 1971 bis 1986 etwa in der Gemarkung Flögeln bei Bad Bederkesa im Landkreis Cuxhaven.

Dabei wurden auch vegetationsgeschichtliche Untersuchungen durchgeführt und neue Methoden entwickelt: Erstmals schwemmten die Küs­ten­for­sche­r*in­nen Verfüllungen archäologischer Befunde vollständig aus, um auch die kleinste Funde bergen zu können. Und erstmals führten sie großflächig Bodenphosphat­analysen durch, um herauszufinden, wie Gebäude funktional gegliedert waren.

Seit gut 30 Jahren untersucht das Institut auch historisch, was heute eine immer größere Brisanz erhält: Veränderungen, die mit dem Meeresspiegelanstieg, mit der Küstenentwicklung und dem Küstenschutz einhergehen. Ein Ergebnis: eine detaillierte Meeresspiegelkurve für die deutsche Nordseeküste, die auf naturwissenschaftlichen und historischen Daten sowie auf archäologischen Befunden basiert.

Heute haben die 40 Mit­ar­bei­te­r*in­nen – Arch­äo­log*innen, Geolog*innen, Bo­ta­ni­ke­r*in­nen und Gra­bungs­techniker*innen – drei Forschungsschwerpunkte: die Besiedlung und Landnutzung im urgeschichtlichen Norddeutschland; frühe, zumal auf Wasserwegen entstandene Netzwerke der Kommunikation im 1. und 2. Jahrtausend; und die Folgen historischer Klimaveränderungen. Die Gelder für eines der nächsten größeren Projekte wurden gerade bewilligt: Ab Mai kommenden Jahres geht’s auf dem Urnengräberfeld von Nienbüttel in der Lüneburger Heide um rituelle Bestattungspraktiken der vorrömischen Eisen- und der älteren römischen Kaiserzeit.

Robert Matthies