Schlick stoppt Gas

Hamburg bekommt doch kein eigenes großes Flüssiggasterminal – viele Freunde hatte es außerhalb des Senats nicht. Wirtschaft und Umweltverbände einig wie selten

Das Flüssiggas, das hier in Brunsbüttel aufgenommen wird, könnte per Tanker weiter nach Hamburg gebracht werden Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Von Lotta Drügemöller

Es sollte ein Weg aus der Energiekrise sein, Hamburgs Beitrag „im nationalen Interesse“. Seit letzter Woche ist klar: Das im Sommer recht spontan erdachte Großprojekt „LNG-Terminal am Hamburger Hafen“ wird es nicht geben. Allzu traurig sind die meisten Ak­teu­r*in­nen in der Stadt über das Ende der Pläne aber nicht.

Die Präferenzen waren merkwürdig verteilt, von Anfang an: Auf der einen Seite eine Allianz von Hafenwirtschaft, Umweltverbänden und Klimaaktivist*innen, die den parteilosen Hamburger Wirtschaftssenator Michael Westhagemann auf ihrer Seite wussten; auf der anderen Seite als exponierte Befürworter vor allem Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) – und sein grüner Umweltsenator Jens Kerstan.

Vor allem der Elbschlick ist es, der diesem Projekt den Garaus macht. 500.000 Tonnen, vielleicht auch bis zu 700.000, müssten vor Moorburg weggebaggert werden, damit ausreichend Tiefgang für die riesige schwimmende Plattform vorhanden wäre, an der das flüssige Gas angeliefert werden sollte. 500.000 Tonnen aber stellen Hamburg vor große Probleme – wohin mit dem Zeug? Einfach anderswo in der Elbe abladen?

Es war die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, die nun Bedenken angebracht hat: Der verklappte Schlick könnte sich mit Tide und Strömungen wieder im Fluss verteilen und so die Fahrrinne verstopfen. Die Sorgen kommen nicht von ungefähr, schon jetzt erstickt die Elbe am Schlick: Erst im Januar war die letzte große Ausbaggerung zur Elbvertiefung beendet worden, doch die abbröckelnde Uferböschung hat den Elbgrund rasend schnell wieder aufgefüllt. Seit Anfang des Jahres mussten laut dem Branchenleitmedium „Täglicher Hafenbericht“ (THB) bereits 200 Durchfahrtsbeschränkungen ausgesprochen werden. Besonders große Schiffe müssen schon Zickzack fahren, meldeten NDR und THB Mitte vergangener Woche.

Naturschutzverbände haben von Anfang an vor dieser Gefahr gewarnt. Die Hafenwirtschaft dagegen hatte sich bisher nicht unbedingt als Warnerin vor neuen Baggerarbeiten hervorgetan. Doch auch sie macht sich Sorgen: Die Schiffe, die LNG anliefern, sind so groß, dass sie neben der ebenfalls schwimmenden Plattform den gesamten Zugang zum südlichen Hafen für andere Schiffe blockieren würden – und das wohl zweimal die Woche für jeweils 24 bis 48 Stunden. „Das würde den Hafenbetrieb einschränken; und das ist etwas, das wir unbedingt vermeiden wollen“, sagt eine Sprecherin der Hamburger Wirtschaftsbehörde.

Natürlich hätte es auch Argumente für den Hamburger Hafen gegeben: Große Abnehmer sitzen direkt vor Ort. Die Hamburger Stahl-, Kupfer und Aluminiumwerke sind in ihrer Produktion heute noch auf Gas angewiesen. Und die Sorge vor Energieausfällen ist groß in der Hamburger Wirtschaft

Hamburg bietet zudem die Leitungen, um ausreichend Flüssiggas ins Netz zu speisen. Laut der Hamburger Umweltbehörde können die Leitungen in Brunsbüttel aktuell jährlich rund vier Milliarden Kubikmeter Gas aufnehmen und ins Land weiterleiten; die LNG-Frachter allerdings könnten acht Milliarden Kubikmeter anliefern – eine Menge, die man sich nicht gerne entgehen lassen möchte.

Die Leitungen in Brunsbüttel werden aktuell entsprechend ausgebaut, doch bis sie fertig sind, wird es noch dauern – das Hamburger Terminal war daher von Anfang an auch laut Umweltbehörde eher für eine „temporäre Nutzung“ gedacht.

Genau hier setzt aber einer der Kritikpunkte des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) an: Für eine Übergangslösung wäre der Ausbau in Hamburg viel zu aufwendig – und käme zu spät. Auch ein Terminal hier wäre nicht von jetzt auf gleich einsatzbereit gewesen.

Bis zur Inbetriebnahme hätte ein Genehmigungsverfahren laufen, der Schlick umgebaggert und die Plattform im Boden befestigt werden müssen; frühestens im Frühsommer 2023, schätzen der Naturschutzbund (Nabu) und die Handelskammer, hätte das LNG-Terminal in Betrieb gehen sollen; schon bis Ende jenes Jahres aber sollte der Ausbau in Brunsbüttel beendet sein. „Wenn man wirklich Gas benötigt, im nächsten Winter also, würde das Terminal nicht mehr dringend gebraucht“, ist Malte Siegert, Geschäftsführer des Nabu Hamburg, überzeugt.

Die Schiffe, die LNG anliefern, würden zweimal die Woche den gesamten Zugang zum südlichen Hafen für 24 bis 48 Stunden blockieren

Die grün geführte Umweltbehörde argumentiert mit „Versorgungssicherheit“ und „Verantwortung“, richtig deutlich aber wird sie nicht: Das Großprojekt sei nur ergebnisoffen geprüft worden. Klar ist aber: Umweltsenator Kerstan protegierte das Projekt, seit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) LNG zur Deckung der Gaslücke in den Blick rückte. „Ich hab’schon dass Gefühl, dass die Grünen sich gerade als bessere Wirtschaftspolitiker profilieren wollten“, meint Siegert.

Ganz vom Tisch ist eine LNG-Lösung für Hamburg auch jetzt noch nicht. Angeboten hat die Landesregierung dem Bund nun eine kleine Variante – dabei würden sogenannte „Feeder“, also „Fütterschiffe“ kleine Mengen Flüssiggas von anderen Terminals abholen und in Hamburg ins Netz speisen. Auf diese Art könnten etwa vier Milliarden Kubikmeter Gas ins Netz gelangen.

Jede Fuhre Gas müsste dafür noch einmal umgeladen werden. Die Vorteile aber liegen ebenfalls auf der Hand: Für die kleineren Schiffe müsste der südliche Hafen nicht komplett gesperrt werden; es bräuchte keine Ausbaggerung; und aller Wahrscheinlichkeit nach könnten die Feeder ihre Arbeit auch schneller aufnehmen – und somit schon diesen Winter etwas zur Versorgung beitragen.

Die Lösung hätte den zusätzlichen Vorteil, dass das Gebiet Moorburg nicht auf absehbare Zeit für ein LNG-Terminal verplant wäre. Dort nämlich ist eigentlich anderes vorgesehen: Auf dem Gelände soll im großen Stil grüner Wasserstoff erzeugt werden.

„Bis 2040 soll die Hamburger Wirtschaft klimaneutral werden“, sagt Peter Feder, Sprecher der Handelskammer. Investitionen sollten jetzt nicht noch mal über Umwege gehen, sondern „gleich in die richtige Schiene“.