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Wenn Schaffnerinnen „die da oben“ sind

Leipzig-Mitte 68.000 Ein­wohner:innen Der Stadtbezirk umfasst zahlreiche Baudenkmäler wie Oper und Gewandhaus.

In der Straßenbahn vom Leipziger Hauptbahnhof nach Connewitz. Eine sauertöpfische Frau sitzt mir und meiner Mitfahrerin gegenüber, wir bestaunen alles. Das Fahrgastfernsehen mit „Infotainment“ aus der Region. „AfD jetzt stärkste Kraft im Osten“, „RB Leipzig Cheftrainer Rose über Bochum“. Ein Aufruf: „Gestalte mit uns die Mobilitätswende. Bewirb Dich beim Fahrgastbeirat.“ – Ehrenamtlich, also: unbezahlt. Die Sauertöpfin verfolgt unsere Blicke. Ich bewundere laut in ihre Richtung das vorüberziehende Stadtbild. „Was für ein schönes Dach, schau mal, das MDR-Gebäude. Das hier scheint das Rathaus zu sein.“ Endlich mischt sie sich ein. „Das ist nicht das Rathaus, sondern das Gewandhaus“, stellt sie klar. „Ach so“, ermutige ich sie. Jawohl, und das hier sei die Oper und da hinten, da sehe man schon das neue Rathaus, wird sie jetzt eifrig.

Plötzlich bleibt die Tram stehen. Lautsprecheransage der Schaffnerin, alle müssen aussteigen. Aus dem Gesicht der Sauertöpfischen hat sich jede Lebhaftigkeit verzogen. Draußen zündet sie sich eine Zigarette an: „Typisch, die da oben machen Feierabend und uns setzt man vor die Tür.“ Für das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein, braucht es nicht viel. Sunny Riedel