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Konferenz der documentaWir gegen das Imperium

Die documenta veranstaltet bis Freitag eine „Lumbung“-Konferenz. Der Kunsthistoriker Philippe Pirotte übte dort Kritik an weißen Mainstream-Medien.

Für den Kunsthistoriker Pirotte haben „konservative Meinungsmacher“ die documenta instrumentalisiert Foto: Frank Rumpenhorst/dpa/picture alliance

Zu einem Denkmal der Trauer über „die Unmöglichkeit des Dialogs“ hatte das indonesische Künst­le­r:in­nen­kol­lek­tiv Taring Padi ein wegen antisemitischer Darstellungen abgebautes Banner umdeklariert – ein Motto, das über der gesamten documenta fifteen stehen könnte. Wie verhärtet die Fronten sind, wurde nochmals deutlich am Dienstag, zum Auftakt der von der Kunstausstellung organisierten lumbung-Konferenz, die noch bis Freitag in Kassel läuft und online übertragen wird.

Den Auftakt machte der belgische Kunsthistoriker Philippe Pirotte, der über „Kontrollvermeidung“ referieren sollte. Darum ging es aber eigentlich gar nicht, eher hielt Pirotte die documenta nochmals als Projekt für all diejenigen hoch, denen die Antisemitismusvorfälle und die irritierende Kommunikationsstrategie der Verantwortlichen die 15. Ausgabe der Weltausstellung nicht verhageln konnten. All die tollen Aspekte der documenta hätten die „Mainstream-Medien“ nicht beschäftigt, meint Pirotte, die seien mit „etwas anderem“ beschäftigt gewesen.

Der Grund für die Angriffe seitens der Medien liege darin, so Pirotte, dass in Kassel etwas aufgebaut wurde, was die Mehrheitsgesellschaft nicht ertragen könne. Deswegen sei alles getan worden, „um uns zu diskreditieren“.

Einseitige Vorwürfe

Die Instrumentalisierung der documenta durch „konservative Meinungsmacher“ prangerte er schon vor einigen Wochen an. Pirotte, der Mitglied im Gremium sowie im Beirat der documenta ist, wittert im Interview mit der Frankfurter Rundschau hinter den Antisemitismusvorwürfen „Kräfte, die eine alte, weiße, modernistisch organisierte Gemeinschaft wollen“ – Vorwürfe, die in dieser Zeitung sowie in der jungle.world oder dem neuen deutschland diskutiert wurden.

Ganz so einseitig, wie Pirotte findet, ist denn auch die mediale Berichterstattung nicht. Im Deutschlandfunk wird regelmäßig den auf der documenta vertretenen internationalen Kollektiven jenseits von Antisemitismusvorwürfen Sendezeit eingeräumt. In der Zeit griff vor wenigen Tagen Marion Detjen die Expertenkommission an und nannte die Aufforderung, antisemitische Filme nicht mehr zu zeigen, Zensur.

Im Spiegel wiederum stand explizit nicht das Ku­ra­to­r:in­nen­kol­lek­tiv ruangrupa im Fokus der Vorwürfe, sondern die Verantwortlichen in Deutschland. „Vielleicht wurde der globale Süden nur eingeladen, weil sich ein paar Kunstleute aus Deutschland oder Großbritannien in ihrer Rolle als Zündler gefallen“, schrieb Ulrike Knöfel, die bei vielen in der Kunstwelt zudem eine Obsession mit der antiisraelischen Boykottinitiative BDS konstatierte.

Kolonialismus, Kolonisatoren und Kolonisierte

Jetzt waren die Antisemitismusvorwürfe kaum Thema, stattdessen ging es viel um Kolonialismus, Kolonisatoren und Kolonisierte. Pirottes Argumentation war mitunter schwer zu folgen, selbst die zwei Simultanübersetzer taten sich schwer. Der Vortrag, der, wie er sagt, gemeinsam mit anderen nicht genannten Au­to­r:in­nen entstand, strotzt vor historischen Zitaten.

Einen Fokus setzte er auf die Sprache, das von ruangrupa geprägte lum­bung-­Vokabular, auf die Machtverhältnisse, die sich in der Sprache des „Empires“ ausdrückten. Pirotte meint wohl frühere Kolonialmächte, betont fast anerkennend, dass Indonesien nach dem Ende der Kolonialherrschaft nicht die niederländische Sprache übernommen hat.

Doch das „Empire“ ist bei ihm weiterhin präsent, synonym mit dem Westen, der Nato, Europa (?), und wird auch von den Zu­schaue­r:in­nen im Saal so verwendet. Überhaupt gibt es in Kassel keine kritischen Fragen, affirmative Dankbarkeit liegt den meisten Wortbeiträgen zugrunde. Lediglich der von ruangrupa bemühte Slogan „Make friends, not art“ scheint für Unklarheit zu sorgen.

Es komme darauf an, wie man Freundschaft definiere, meint Pirotte, bis 2020 Leiter der Städel-Kunsthochschule in Frankfurt am Main, auch Kunstwerke könnten Freunde sein. Letztlich drücke der Slogan jedoch vor allem aus, dass Kunst nicht in einem Vakuum entstehen soll, sondern zusammen mit anderem, in einem Netzwerk. Als sei das anders je möglich gewesen.

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4 Kommentare

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  • Teil 1:

    In manchen Fällen mögen Sie mit dem Verdacht, man deale mit Doppelstandards, recht haben. Etwa wenn üble Entgleisungen von AFD-lern als üblicher Gestank dieser Seite des Spektrums abgetan wird während "Schulhof-Antisemitismus" im unreflektierten Geplapper von Elfjährigen als "importiertes Problem" von der Bild - na sagen wir - groß-skaliert wird. Ich würde beides nicht kleinreden wollen, dennoch scheinen die öffentliche Affekte hier in ihrer Angemessenheit vertauscht. In solchen Fällen haben Sie mit Ihrem Verdacht aus meiner Sicht recht. Nicht jedoch im vorliegenden Fall. Ich hätte es tatsächlich angemessener befunden die Zeugnisse des Jahrtausende währenden christlichen Antisemitismus zu beseitigen bzw. in musealen Kontext zu verbannen. Das dieses nicht geschehen ist, zeugt dennoch nicht von Doppelstandards. Dieser Antisemitismus ist einer, den niemand innerhalb bzw. aus dem Umkreis der verantwortlichen Institution(en) vertritt (von solchen Freaks wie Richard Williamson abgesehen). Diese Zeugnisse einer früheren Geisteshaltung sind *kein* Ausweis ihres Vorhandenseins in den Köpfen der Verantwortlichen heute. Er kann mühelos kontextualisiert werden bzw. historisiert. Die innner-institutionellen Nachfolger der einstigen Verantwortlichen Antisemiten distanzieren sich von dieser Geisteshaltung. Der Antisemitismus der BDS-ler, (den vorgeschobenen Israel-Kritizismus halte eine wirklich lächerliche Erfindung solange es keine verwandten Disziplinen wie Indonesien-Kritik oder Niedersachsen-Skeptizismus gibt) wie auch der Documenta-Kuratierenden ist einer der sich einer solchen auf vergangene, nicht mehr vorhanden Geisteshaltungen verweisenden Einordnung entzieht.

  • Sinn und Zweck der documenta war es Antisemitismus unters Volk zu bringen, als Alibi-Mäntelchen sollte "Kunst" dienen. Und der BDS machte die Basis-Arbeit.

    Samuel Salzborn definierte es in der FR ganz treffend:

    "Daran, dass Antisemitismus eben solcher ist, ändert sich nichts, wenn er als Kunst verkauft wird – und hier geht es nun eben darum, Antisemitismus als Kunst vorzutragen, in der Hoffnung, man könne sich unter dem Label der Kunst tarnen. Dieses Label funktioniert aber über einen Umweg, wenn versucht wird, Antisemitismus hinter einem vermeintlich Globalen Süden zu verstecken, also andere das Ressentiment vortragen und man selbst dabei auf der moralisch richtigen Seite stehen will."

    www.fr.de/kultur/g...itik-91713443.html

    Die Findungskommission unterstützt das umstrittene Kuratorium weiterhin. Wen wundert's?

    Mehr als die Hälfte von denen befürworteten auch den israelkritischen Boykottaufruf BDS.

    www.faz.net/aktuel...oren-18318211.html

    Und Claudia Roth sitzt immer noch im Sattel. Wäre auch zu peinlich für die Grünen gewesen, wenn sie so ganz direkt und offensichtlich mit Antisemitismus in Verbindung gebracht würden.

    • @shantivanille:

      Im Zusammenhang mit israelbezogenem Antisemitismus wird - zu Recht - oft vor Doppelstandards gewarnt. Davor, mit zweierlei Maß zu messen und bei jenen, denen der Hass gilt, alle Verfehlungen viel härter zu ahnden als andernorts.

      Interessanterweise blieb während der letzten Monate nahezu überall im das Thema scheinbar so gründlich sezierenden deutschen Feuilleton ein solcher in der Debatte eindeutig präsenter Doppelstandard unerwähnt.

      Denn kurz vor dem Skandalon auf der documenta fifteen wurde richterlich bestätigt, dass es im Fall christlicher Kirchen schon ok ist, wenn sie ihre antisemitische Kunst in der Öffentlichkeit hängen lassen. Die "Judensau von Wittenberg" (falls Sie das Machwerk googlen wollen: content warning, übelster Antisemitismus) bedurfte trotz geführtem Prozess weiterhin nur einer "einordnenden" Hinweistafel, um im öffentlichen Raum verbleiben und Jüdinnen:Juden als Schweineanbeter diffamieren zu dürfen, wie ein dutzend weiterer, vergleichbarer Werke überall in Deutschland.

      Wenn antisemitische Kunst dagegen von Muslimen kommt, dann reden Leute wie Sie davon, dass die Kulturstaatsministerin gehen müsse, weil sie nicht ostentativ genug über den Organisatoren der documenta den Stab gebrochen habe.

      Das entschuldigt selbstverständlich nicht die Darstellungen von Taring Padi, es war natürlich richtig, die nicht weiter zu zeigen. Aber wer daraus dann eine Debatte wider den Postkolonialismus und den Globalen Süden macht oder wer das zur Ausagierung seiner Antipathien gegen Claudia Roth nutzt, während er christlichen Judenhass in der Öffentlichkeit nicht weiter diskussionswürdig findet, der entlarvt eben, dass die Bekämpfung von Antisemitismus nur ein bequemer Vorwand ist, um andere Ziele zu erreichen.

      • @TheVriskaSerket:

        Teil 2.

        Mehr noch, wird er als eine gerechtfertigte Haltung in einem bestimmten noch präsenten Kontext expressis verbis verteidigt. Diese Kontextualisierung - mal angenommen man schluckt diesen verwegenen Move (Kontext hier Kontext da) - ist keine, die die aktuelle Haltung von einer historischen vergangenen abzugrenzen versucht, sich also bewusst distanziert, sondern das schiere Gegenteil: sie versucht diesen Antisemitismus als unter bestimmten (globalsüdlichen oder postkolonialistischen) Umständen zulässig darzustellen, bzw. hierin zu rehabilitieren. Daher mein Schluss: es gibt gelegentlich Doppelstandards. Aber nicht in Ihrem Beispiel und nicht bei dem documenta-Antisemitismus. Hier haben wir es mit einem neuen Versuch der Nobilitierung zu tun - diesmal unter dem Label des Antikolonialismus und der Kunstfreiheit (bei diesem billigen Agitprop ist es zudem noch eine Beleidigung derer, die wirklich um Kunstfreiheit streiten). Sie glauben mir nicht? Ich empfehle die Lektüre jenes Statements warum Kritik am Antisemitismus "rassistisch motiviert" sei.