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LESEN! Morgen startet das 9. Internationale Literaturfestival. Der Schwerpunkt liegt in diesem Jahr auf arabischen Autoren. Unter ihnen sind Entdeckungen zu machen, aus Deutschland sind dagegen viele Bekannte da
VON ARIANE BREYER
Das Berliner Literaturfestival ist wieder auf Wachstumskurs. In den vergangenen Jahren hatte man die so wuchtige wie disparate Fülle der Veranstaltungen ein wenig begrenzt und wurde einhellig für diese Konzentration gelobt. Jetzt also wieder über 200 Gäste und ebenso viele Veranstaltungen. Außerdem sind drei neue Orte hinzugekommen: das Collegium Hungaricum Berlin in der Dorotheenstraße, das Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz und das Maxim-Gorki-Theater.
Dass sich die Lesungen und Diskussionen im neunten Jahr noch weiter über Berlin ausbreiten, kann dem Festivalcharakter nur zuträglich sein. Die Angst, sich bei dem Überangebot nicht entscheiden zu können und sich am Ende irgendwo in eine Bar in Mitte zu verlaufen, muss man deshalb aushalten.
Für alle, die sich nicht darauf verlassen wollen, beim ziellosen Herumirren per Zufall literarische Perlen zu finden, gibt es alte Bekannte: Judith Hermann, Katharina Hacker, Feridun Zaimoglu, Monika Maron, Siegfried Lenz. Auch Thomas Hettche wird man hören können, den in jüngster Zeit viel empfohlenen Anwärter auf den Deutschen Buchpreis. Der für den National Book Award nominierte Bosnier Aleksandar Hemon stellt gleich mehrere Texte vor, genauso wie der Feuilletonliebling John Wray.
Doch das eigentliche Anliegen der Organisatoren dieser dezidiert politischen Leseveranstaltung ist es, das lernbereite Zuhören und gegenseitige Verständnis zu befördern. Oder, mit Joachim Sartorius, dem Intendanten der Berliner Festspiele: sich „auf lustvolle Art im Denken des Globalen zu üben“. Und das gelingt vielleicht dem Flaneur am besten, der auch bei Unbekanntem verweilt.
Zumal der Schwerpunkt in diesem Jahr – wie auf der Frankfurter Buchmesse vor fünf Jahren – auf der arabischsprachigen Literatur liegt. Auf politischer und gesellschaftlicher Ebene hat die Beschäftigung mit der arabischen Welt in Westeuropa innerhalb des vergangenen Jahrzehnts zwar stark zugenommen. Ihre Literatur hingegen wird nach wie vor kaum wahrgenommen. Also werden sich auf dem bis zum 20. September dauernden Lesefest fast zwangsläufig Entdeckungen einstellen: Ein Großteil der in der Heimat längst bekannten Autoren wurde erst für das Festival auszugsweise ins Deutsche übersetzt.
Der Ägypter Youssef Ziedan zum Beispiel, der für seinen Roman „Beelzebub“ den ArabBooker Prize erhielt. Oder Khaled al-Khamissi, der mit seinem Bestseller „Taxi“ vor zwei Jahren nationale Berühmtheit erlangte. Al-Khamissi zeichnete Dutzende Gespräche mit Kairoer Taxifahrern auf, die auf eine so authentische wie anrührende Weise die Weltpolitik und Widrigkeiten des ägyptischen Alltags beklagen. Oder die ebenfalls ägyptische Bloggerin Rehab Bassam, die ihre Blogeinträge unter dem Titel „Reispudding für zwei Personen“ veröffentlichte.
Unverzichtbar die großen algerischen Erzähler, die allerdings hauptsächlich auf Französisch schreiben und deshalb in Frankreich viel präsenter sind als hier: Assja Djebar, Rachid Boudjera, Leila Sebbar, Azouz Begag. Unverzichtbar auch ein ausführliches Lyrik-Programm. Es gibt eine Hommage an den vor einem Jahr verstorbenen Mahmoud Darwisch, den populärsten Dichter des arabischen Sprachraums. Die Reihe Poetry Night stellt dagegen eine neue Generation von Poeten vor, die zumeist nicht in der arabischen Hochsprache schreiben, sondern sich verstärkt ihrer lokalen Dialekte bedienen. Und Alltagsthemen wie die Rolle der Frau in der muslimischen Gesellschaft thematisieren; sehr eindringlich in den sinnlichen Gedichten der Libanesin Joumana Haddad.
Um das Geschlechterverhältnis werden sich auch viele der Diskussionsforen drehen. Die Soziologin Necla Kelek liest aus ihrem Buch „Bittersüße Heimat“, und Alice Schwarzer wird wieder einmal für eine Diskussion des von ihr erkannten „islamistischen Kreuzzuges von Teheran bis Kreuzberg“ zur Verfügung stehen.
Das ist leider die einzige deutsche Stimme, die von ihren Annäherungsversuchen an die andere Lebenswelt berichtet. Und Schwarzers Teheran-Reportage ist schon 30 Jahre alt und Iran kein arabisches Land! Diejenigen Autoren, die ab 2002 an dem literarischen Austauschprojekt „westöstlicherdiwan“ des Literaturfestivals teilgenommen hatten und diese Lücke hätten füllen können – Ulrike Draesner zum Beispiel oder Ilja Trojanow –, hätten sicherlich eine differenzierte Perspektive geboten. Das muss man jetzt in dem Band „Zwischen Berlin und Beirut – West-östliche Geschichten“ nachlesen. Und sich beim Flanieren auf dem Literaturfestival selbst ein Bild machen.
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