: Gott ist ein Heimwerker
TANZ Augusto Jaramillo Pineda stellt den dritten Teil seiner Trilogie zu den Themen Teufel, Tod und Gott vor. Ein paradoxes Unterfangen wird dabei zum unterhaltsamen Abend
VON ANDREAS SCHNELL
Da steht eine Figur im Halbdunkel, wenn man reinkommt gleich links. Wir alle müssen da durch. Es ist eine Dragqueen oder so etwas. Als wir sitzen, steht sie immer noch da. Rülpst. Rülpst noch mal. Und zieht sich aus. Dann wird es dunkel. Doch wie schon der Volksmund weiß: Wenn du denkst, du siehst nichts mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.
In diesem Fall erhellt es notdürftig einen ebenso bekleideten Körper in embryonaler Haltung. Er zuckt ein wenig, beginnt, den leeren Raum um sich herum zu ertasten. Hebt später an, eigentümliche Geräusche von sich zu geben. Dann ist er weg. Dann wieder da. Diesmal geht das Licht von ihm selbst aus. Dann sehen wir ihn als Höhlenmenschen. Er rollt einen Kunstrasenteppich aus, dessen Ränder er erkundet. Menschwerdung?
Der schon die ganze Zeit dahinwabernde Soundteppich wandelt sich in Stammesrhythmen, zu denen unser Vormensch tanzt, immer schneller – bis ein großer Ball geflogen kommt. An dem unser Mann schwer zu tragen hat. Aber auch sich auf diesem Ball aufzuhalten, ist nicht einfach. Dann würgt er einen Luftballon aus, bläst ihn auf – und stellt alsbald fest, dass die Luft, die aus dem Ballon entweicht, angenehm kühlt. Das muss wiederholt werden. Kaum überraschend, dass der Ballon irgendwann platzt.
Vielleicht ist schon deutlich geworden, dass Augusto Jaramillo Pinedas neue Choreografie, die am Donnerstag in der Schwankhalle Uraufführung feierte, durchaus heitere Momente hat. Was ja nicht selbstverständlich ist bei der Beschäftigung mit den sprichwörtlichen „großen Themen“ – Eros, Thanatos und was es da nicht noch so alles gibt (ehrlich gesagt: So viele sind es dann ja auch wieder nicht). Nach „Luzbel“ über den Teufel, „Thanatos“ über, äh, den Tod nun also „Adonai“ über Gott. Als Denkfigur. Soll ja keiner sagen, hier würde vor- oder gar antiaufklärerisch gearbeitet. Diese Denkfigur will Pineda „sinnlich greifbar“ machen. Ein Vorhaben, das so abstrakt klingt wie es scheitern muss. Sinnlich ist die gut einstündige Arbeit aber durchaus.
„Adonai“, das ist hebräisch für „mein Herr“. Aber es geht hier nicht nur um die monotheistischen Religionen im Gefolge des Judaismus. Im Programm werden auch andere Mythen zitiert, kolumbianische (der Choreograf und Tänzer Pineda stammt schließlich aus Kolumbien), ägyptische, hethitische. Und dann kommt noch eine Collage von Stimmen hinzu, die ohne Zuordnung von Schöpfung sprechen – sofern wir das verstehen konnten. Was ganz gut zum Gesamtkonzept passt, das nach einem anscheinend eher linearen Beginn nicht bei einer großen Erzählung bleibt, sondern unterschiedliche Theologien aufnimmt, ohne wirklich etwas aufzulösen. Da gibt es ausgesprochen hübsche Szenen. So erzählt Pineda die Sache mit Adam und Eva mit zwei Barbiepuppen nach. Und einem Apfel, versteht sich. Dem geht eine gerade in ihrer Unsichtbarkeit wirklich komische Heimwerkerszene unter einem der Zuschauertribüne vorgeschalteten Steg voran, auf dem unser Götterbote vorher noch zu diskoiden Beats getanzt hat, inklusive Michael-Jackson-Griff in den Schritt.
Dieser Umgang mit dem heiligen Zeug erinnert dann aber schon ein bisschen an die vor allem in katholischen Gegenden populäre Auseinandersetzung mit dem Allmächtigen, die aus säkuläreren Gegenden betrachtet auch stets etwas Putziges hat. Also den eigentlichen Witz gar nicht so brisant findet wie der, der ihn macht.
Ganz wunderbar aber dann das vorletzte Bild, in dem sich unser Mann in ein an der Bühnenrückwand aufgespannten Kreuzundquer aus Gummibändern verheddert, dass man denken mag: Da kommt der ja nie wieder ohne Bühnentechniker raus!
Tut er aber selbstverständlich doch. Um hernach triumphal als so etwas wie ein altrömischer Gott in waberndem Nebel und dumpfem Grollen zurückzukehren. Aber vielleicht ist es ja auch ein Hethiter. Was mich zurückbringt zu der sinnlichen Greifbarkeit einer Denkfigur. Eigentlich liegt hier schon der inhärente Widerspruch des Unternehmens. Weil eine Denkfigur eben eine Denkfigur ist – und sich als solche der sinnlichen Wahrnehmung immer mindestens das berühmte Stück weit entzieht. Aber wie gesagt: Es ist ein durchaus interessanter, stellenweise wirklich höchst unterhaltsamer Abend. Und das ist nun wirklich nicht wenig.
■ weitere Aufführungen heute (Samstag) sowie Donnerstag, 7. bis Samstag 9. 6., 20 Uhr, Schwankhalle
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen