DER PHANTOMINVESTOR SCHEISST DAS TACHELES MIT GELD ZU: Der Humus von Berlin
VON ULRICH GUTMAIR
Lange würde es nicht mehr gut gehen. Wir rochen es schon. Ronald und ich suchten das Café Zapata auf. Alles sah aus wie früher. Die Theke, die Tische, die Stühle aus Eisen, der primitivistische Barock des Berliner Cyberpunks der späten Achtziger und frühen Neunziger. Die Bodenfliesen lagen vermutlich schon seit 1909 da. Nur auf den Toiletten hatten sich in zwei Jahrzehnten mehrere Schichten von Aufklebern und Graffiti abgelagert.
Das war an einem Donnerstagabend im vorletzten Winter, so gegen neun. Wir setzten uns an den großen Tisch auf dem Podest. Ungezählte Bands waren hier aufgetreten, es war Theater gespielt und gelesen worden. Genesis P-Orridge hatte bei einer seiner Solo-Performances hier oben gestanden. Desgleichen der damals fast 80 Jahre alte Ur-Beatnik Herbert Huncke, der Jack Kerouac einst einfach nur die Wahrheit gesagt hatte: „I’m beat to my socks.“ Im Zapata erklärte Huncke den jungen Leuten: „Ich habe keine Botschaft und schwinge keine Flagge. Ich bin einfach nicht interessiert am bürgerlichen Leben.“
Nun war die schwule, bis ins hohe Alter Drogen nehmende Legende vom Times Square schon über zehn Jahre tot. Und wir saßen mit sehr lebendigen blonden schwedischen Studentinnen am großen Tisch auf dem Podest im Café Zapata und tranken Bier. Sie waren davon überzeugt, dass sie sich im Zentrum des coolen Berlin befänden, einem der heißesten Spots der westlichen Welt. Das war aktuell zwar zum Lachen, was wir ihnen aber verschwiegen. Zum einen aus Höflichkeit, zum anderen, weil es historisch betrachtet ja auch nicht falsch war.
Die jungen Damen besichtigten hier das originale Nachwendeberlin. Und wenn sie später noch ein bisschen herumstreunten, würden sie sich auf der Brache aller Brachen zwischen Friedrichstraße und Oranienburger befinden. Die war wegen der alliierten Bomben entstanden, aber auch, weil DDR-Stadtplaner hier eine Straße bauen wollten. Als Abkürzung. In „Berlin Babylon“, Hubertus Siegerts Doku über den brachialen Aufbau von Berlin nach der Wende, gibt es ein schöne Kamerafahrt durch die Auguststraße auf das Tacheles zu. Die Wintersonne beleuchtet das große Wandbild an der Brandmauer. Dann gibt es einen Schnitt auf einen trüben Regentag. Zwei Leute sind auf der Superbrache zu sehen. Der Mann im Trenchcoat wird als „ehemaliger Bausenator“, die Frau mit dem Regenschirm als „Senatsbaudirektorin“ vorgestellt. Wolfgang Nagel sagt: „Dann gehören uns, also der Fundus-Gruppe, die Friedrichstraßenhäuser, das ist der Neubau. Und alles bis auf zwei, drei Häuser hinter diesen“, er zeigt in die andere Richtung, „ist das, was wir von der OFD erworben haben in mehreren Abschnitten.“ Die OFD, das ist die Oberfinanzdirektion des Bundes. „Es geht im Grunde bei dem, was wir jetzt machen, darum, einen intelligenten Städtebau zu finden, der a) die kommerzielle Seite bedient, klar, dazu ist ja so ein Immobilienunternehmen auch gut, und der b) hier aufnimmt, was an kleinteiligen Strukturen auf der anderen Seite da ist. In der Auguststraße haben sich ja eine Fülle dieser Galerien und kleinen Kneipen und so weiter angesiedelt. Das ist sozusagen Humus von Berlin. Jetzt ist natürlich die große Kunst: Schafft man das auch, wenn man das ganz neu errichtet.“
Das ist eine gute Frage. Die Senatsbaudirektorin guckt, als sei sie schon ganz woanders, und fragt: „Was ist eigentlich mit diesen Altbauten da? Da ist so eine Halle mit Figuren?“ Nagel: „Das ist das alte Kaufhaus, das Kunstobjekt, das wir den Tacheles-Leuten für eine Mark pro Monat überlassen.“ Jakubeit: „Und was wird damit zukünftig?“ Nagels Antwort ist nicht überliefert. Filmemacher Siegert machte an ebendieser Stelle einen Schnitt.
Die Zeiten, als der Berliner Projektentwickler der Fundus-Gruppe und ehemalige Bausenator (1989–1996) noch guten Mutes war, muten idyllisch an. Heute stellen wir uns andere Fragen: Sind wirklich schon eine Million Euro an Künstler und Gewerbetreibende geflossen, damit sie ihre Ateliers und Kneipen räumen? Wer ist der Phantom-Investor, der das Tacheles mit Geld zuscheißt? Was wird aus den Räumen des Café Zapata, über die nun die Security der HSH-Nordbank wacht? Und wie erklären wir das jetzt den schwedischen Studentinnen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen