Investoren im Profifußball: Newcastle im Nahen Osten
Saudi-arabische Geldgeber krempeln Newcastle United um – etwas zurückhaltender als andere Investoren in der englischen Premier League.
Wenn der englische Premier-League-Fußballklub Newcastle United bei Auswärtsspielen künftig auf sein Ausweichtrikot zurückgreifen muss, wird das Team verdächtig an die Nationalmannschaft Saudi-Arabiens erinnern: weißes Shirt, grünes Emblem. Wo beim Team aus dem Nahen Osten auf der linken Brust der stolze Adlerkopf sitzt, werden bei den „Toons“, wie Newcastles Team genannt wird, die zwei Seepferde prangen. Aber eben in Grün, statt im bislang gewohnten Schwarz.
An die Abkehr von Traditionen werden sie sich in Newcastle gewöhnen müssen. Das Team aus dem nördlichsten Osten Englands ist im Herbst vergangenen Jahres für rund 400 Millionen Euro von einem saudischen Konsortium übernommen worden. Der Vorgang, Verkauf eines Fußballklubs an eine Gruppe von Geschäftsleuten, ist an sich heutzutage im Profifußball nichts Ungewöhnliches. Und doch war der Verkauf Newcastle Uniteds eine der langwierigsten und umstrittensten Übernahmen in der Geschichte des englischen Fußballs. Das hat mit der Herkunft der Geldgeber zu tun.
Saudi-Arabien, das von Menschenrechtsorganisationen schon lange kritisiert wird, hat weltweit spätestens seit der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018 ein gewaltiges Imageproblem. Das Konsortium, das den Klub übernommen hat, besteht zu 80 Prozent aus dem Staatsfonds Saudi-Arabiens (PIF). Mit einer Erfolgsgeschichte im Fußball, so wurde gleich gemutmaßt, wollen die saudischen Machthaber nunmehr ihren ramponierten Ruf aufpolieren. „Sportswashing“ ist mittlerweile der etablierte Fachausdruck dafür.
Doch es ist bei Weitem nicht nur das, was den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman – kurz „MBS“ genannt – und seine Leute antreibt. Es geht auch schlicht um einen politischen Machtkampf in der Region, der bereits seit 2011 tobt und weit über den Sport hinausgeht. Es geht dabei im Wesentlichen um den Aufstieg des Nachbarn Katar und dessen Regionalpolitik. Schon seit den 1990er-Jahren intensivierte das kleine Emirat seine Bemühungen, sich international bekannter zu machen und als attraktiver Partner in der Region wahrgenommen zu werden. Das Ganze gipfelte gewissermaßen in der WM-Vergabe an Katar im Dezember 2010. Katar war endgültig aus dem Schatten des großen Nachbarn Saudi-Arabien herausgetreten, zu dem man bis dahin in einem massiven Abhängigkeitsverhältnis gestanden hatte.
Der Aufstieg Katars war den Nachbarn ein Dorn im Auge – man wollte den Emporkömmling zurechtstutzen. Die Lage eskalierte, als Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Bahrain und Ägypten 2017 eine Blockade Katars begannen, die bis 2021 andauerte. Das Ziel, Katar zu isolieren, zu schwächen und dafür zu sorgen, dass dem kleinen Nachbarn auch die WM wieder abgenommen wurde, scheiterte. Und in den Golfstaaten wuchs die Einsicht: So schlecht war der Weg Katars gar nicht, und für die gesamte Region wäre ein Schulterschluss sinnvoller.
Eine Charmoffensive nach dem Mord an Khashoggi
Anstatt also den kleinen Nachbarn weiter zu schwächen, beschloss man in Saudi-Arabien, ihn und den anderen Nachbarn VAE mehr oder weniger zu kopieren – zumindest in ihren Aktivitäten auf dem weltweiten Fußballmarkt. Die VAE-Fluglinie Emirates hatte schon 2004 begonnen, sich als Sponsor auf dem englischen Fußballmarkt zu engagieren, 2006 wurde das Stadion von Arsenal London in „Emirates-Stadium“ umgetauft. Die VAE-Stadt Abu Dhabi schlug noch spektakulärer zu und übernahm 2008 kurzerhand den finanziell schwächelnden Klub Manchester City, um ihn in einen internationalen Spitzenklub zu verwandeln.
Katar sah sich zunächst beim FC Barcelona um, trat dort als Trikotsponsor auf. 2011 folgte die Übernahme des Fußballklubs Paris Saint-Germain durch die Qatar Sports Investment (QSI), die dem katarischen Staatsfonds untersteht. Zudem intensivierte man die Beziehungen zum FC Bayern München, dessen jährliches Wintertrainingslager in Katar von beiden Seiten gern gepflegte Tradition wurde.
Im Herbst 2021 also Saudi-Arabiens Nachzug mit Newcastle United. Auch dieser Traditionsklub soll mit Ölmilliarden des großen Flächenstaates, in dessen Wüstenlandschaft Deutschland ungefähr sechsmal hineinpasst, zu einem internationalen Schwergewicht aufgebaut werden.
Kronprinz „MBS“ ist Antreiber einer Art Charmeoffensive, um den Ruf seines Landes insbesondere nach dem Mord an Khashoggi aufzubessern. Man möchte wieder gesellschaftsfähig werden, um sich als interessanter und nahbarer Wirtschaftspartner zu etablieren. Was schon ganz gut gelungen ist: In der jüngeren Vergangenheit bekam man bereits wieder Besuch vom chinesischen, vom US-amerikanischen und französischen Staatsoberhaupt. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz wird am kommenden Wochenende nach Riad reisen.
Die Fans von Newcastle United müssen derweil nicht nur mit ihren Traditionen brechen. Sie müssen sich auch in Geduld üben. Denn anders als Katar mit Paris Saint-Germain, wo der Traum vom Sieg in der Champions League trotz riesiger Millioneninvestitionen bisher ausblieb, geht Riad vorsichtiger vor. Anstatt in diesem Sommer gleich die ganz großen Superstars der Szene zu verpflichten, wurden erst einmal solide Spieler mit internationaler Klasse geholt, die den zuletzt abstiegsgefährdeten Klub zunächst sicher in der Liga halten werden.
Außerdem wurde in die Mitarbeiter im „Hinterzimmer“ investiert, um ein effizienteres und professionelleres Team zu werden. Nach der Installation eines neuen Sportdirektors, Dan Ashworth, der im Februar eingestellt wurde, hat Newcastle mit Darren Eales einen neuen geschäftsführenden Vorstandsvorsitzenden installiert. Zudem wurde in neue Analysten, Sportwissenschaftler und Physiotherapeuten investiert. Und eben in neue Trikots. Die jetzt in saudischen Farben daherkommen.
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