: Früher aufstehen, echt jetzt?
Die Volksbühne Berlin witzelt Kritik an der Auslastung einfach weg
Es steckt überraschend viel Wien in Berlin. Zumindest sah das so aus bei einem Pressegespräch, zu dem die Volksbühne Berlin zum Start der Saison eingeladen hatte. Denn gleich zwei österreichische Künstlerinnen stellten ihre Projekte vor, die aufwendigsten der kommenden Spielzeit: Die Choreografin Florentina Holzinger beginnt mit „Ophelia’s Got Talent“, einer Forschung über die Beziehungen zwischen Wasser und Frauen in der Literatur, von den Melusinen bis zu den Selbstmörderinnen. Dass man die große Bühne der Volksbühne auch mit einem Bassin voll Wasser bespielen könnte, erzählte sie, sei für sie ein starkes Motiv gewesen, an das Haus zu kommen. Und Lydia Haider, Schriftstellerin aus Österreich, stellte mit der österreichischen Musikkuratorin Marlene Engel das Musical „Hyäne Fischer“ vor, benannt nach einer Kunstfigur aus dem Umfeld der Burschenschaft Hysteria. Beide Projekte, so betonten die Künstlerinnen, sind feministisch und werden unter möglichsten Verzicht auf Hierarchien von Autor:innen und Performer:innen gemeinsam entwickelt.
Neben den Künstlerinnen saßen die Dramaturginnen Anna Heesen und Johanna Kobusch, die betonten, die Volksbühne sei ein Haus für gemeinsam erarbeitete Uraufführungen. Rechts und links rahmte die Gruppe je ein Herr, der Intendant und Regisseur René Pollesch und Martin Wuttke. Die beiden werden mit einem Projekt in die Geschichte der Volksbühne eintauchen, über einen mühevollen und misslingenden Versuch, das „Volk“ im Namen des Theaters zu seinem Protagonisten zu machen.
So war der Blick in die Zukunft zwar spannend, aber viele der gekommenen Journalist:innen interessierte vor allem, wie das Team denn seine erste Spielzeit bewerte, die nicht zuletzt wegen schlechten Auslastungszahlen und vielen Tagen ohne Programm in die Kritik geraten war. Nun meinte Pollesch, an den vielen Abenden, die er dabei war, das Haus durchaus voll gesehen zu haben, eine gefühlt gute Auslastung, der aber die Zahlen widersprechen. Auch erzählte er durchaus mit Charme, wie furchtbar er die Arbeit an Theatern fand, an denen man vormittags proben musste, weil abends die Bühne nie zur Verfügung stand – welcher Künstler stehe schon gerne früh auf –, und das hätten sie in der ersten Spielzeit eben anders gemacht. Die kommende aber sollte der Spielplan voller werden. Der Schauspieler Martin Wuttke sprang dem Intendanten bei, berichtete von Theatern wie dem Berliner Ensemble, wo die Auslastungszahlen in jedem Gespräch Thema waren und den Künstlern Druck machten. Mehr Freiraum sei für die Kunst produktiver.
Es ist in Ordnung, dass Künstler so argumentieren, aber ein Intendant sollte mehr im Blick haben. Dass die meisten Journalist:innen in diesem Gespräch das so sahen, schien René Pollesch aber nicht zu überzeugen.
Katrin Bettina Müller
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen