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Flamenco, Schließfächer und ratlose Politiker

BANKENKRISE Die Spanier trauen den Banken nicht und schaffen ihr Geld ins Ausland. Eine europäische Lösung ist nicht in Sicht

AUS MADRID REINER WANDLER

Demonstrierende Rentner, ein Flamenco tanzender Flashmob in der Schalterhalle, lange Schlangen von Kunden, die aus Unmut über die staatliche Bankenrettung ihre Konten kündigen wollen: Die sozialen Proteste in Spanien haben ein neues Ziel bekommen, seit die Bankia, ein Zusammenschluss aus sieben spanischen Sparkassen, mit 4,5 Milliarden Euro aus öffentlichen Geldern teilverstaatlicht wurde.

Weitere 19 Milliarden Euro werden nötig sein, um das viertgrößte spanische Finanzinstitut zu retten. Die restliche Branche braucht nach Schätzungen von Goldman Sachs weitere 25 Milliarden Euro. Zusammen ist das ungefähr das, was die Spanier seit 2010 an Kürzungen ertragen mussten. Spaniens Finanzbranche sitzt auf Unsummen an „toxischen Aktivposten“ aus Krediten und Immobilien, die nicht mehr abbezahlt werden.

Der Risikozuschlag für Staatsanleihen steigt und liegt seit einer Woche deutlich über 500 Punkten. Die Zinsen für zehnjährige Schuldverschreibungen beliefen sich zum Wochenende auf 6,6 Prozent und nähern sich damit der Zone, in der Griechenland, Irland und Portugal unter den europäischen Rettungsschirm schlupfen mussten.

Bei den Anlegern geht die Angst um. Nach Zahlen der spanischen Zentralbank zogen sie in den vergangenen 12 Monaten 296 Milliarden Euro ab, das entspricht 28 Prozent der spanischen Wirtschaftsleistung.

Dabei verkaufen nicht nur ausländische Investoren ihre spanischen Aktien und Staatsanleihen. Auch die Spanier selbst trauen ihren Banken nicht mehr. Staatliche Stellen und öffentliche Unternehmen verschoben im März fünf Milliarden Euro. Und selbst die Banken bunkern ihre Rücklagen im Ausland. Knapp 20 Milliarden Euro nahmen im März diesen Weg. Das Geld stammt aus den Liquiditätshilfen, die die Europäische Zentralbank zum Niedrigzinssatz von einem Prozent vergeben hat.

Auch Familien und Kleinunternehmer verlagerten im März 1,4 Milliarden Euro ins Ausland. Die Wartelisten für Bankschließfächer werden immer länger. So mancher bewahrt darin sein Vermögen in Scheinen oder Gold auf. Das Angstwort heißt „corralito“ – das war die argentinische Kontosperre 2001/2002.

Denn bislang hat der konservative Wirtschaftsminister Luis de Guindos kein schlüssiges Konzept für die Sanierung der Bankia vorgelegt. Eine direkte, staatliche Liquiditätsspritze mittels neuer Staatsanleihen scheitert am Einspruch Brüssels. Der spanische Bankenrettungsfonds hat so große Summen nicht. Und um für Bankia Geld aus dem Europäischen Rettungsfonds anfordern zu können, ohne dass Spaniens als solches unter den Rettungsschirm schlupft, müssten die Regeln geändert werden. Dies scheiterte bisher schon an der Haltung Berlins. Und nach Informationen des Spiegel will die Bundesregierung ihre Kollegen in Madrid nun aktiv drängen, Hilfen aus dem Fonds anzufordern. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) habe de Guindos bereits bei seinem Besuch in Berlin am Mittwoch unter Druck gesetzt.

Madrid scheint auf eine europäische Bankenunion zu setzen, in der sich die Geldinstitute der EU gegenseitig absichern. Auf einer Blitzreise nach Washington warb Vizepremier Soraya Saénz de Santamaría bei US-Schatzmeister Tim Geithner und beim Internationalen Währungsfonds für dieses Konzept. Gleichzeitig warnt Finanzminister Cristóbal Montoro zu Hause die internationalen Anleger und damit indirekt die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor hohen Verlusten, falls Spanien endgültig abstürzt.

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