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: „Die ersten Hinrichtungen des Regimes“

Eine Gedenkfeier für die Toten des 1932 von SA und SS provozierten „Altonaer Blutsonntags“

Foto: VVN-BdA

Cornelia Kerth67, Sozialwissenschaftlerin, ist eine der Bundesvorsitzenden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund deutscher AntifaschistInnen (VVN-BdA).

Interview Petra Schellen

taz: Frau Kerth, was ist passiert am 17. Juli 1932, dem „Altonaer Blutsonntag“?

Cornelia Kert­h: In Altona, das damals noch eine eigenständige Stadt war, wohnten viele Menschen, die der KPD oder der SPD nahe standen. Durch diese Wohngebiete hatte die ­NSDAP einen Marsch geplant. Er war als „Werbemarsch“ deklariert, aber in diesem Viertel war das Ziel eindeutig, zu provozieren.

Warum wurde er nicht verboten?

Ich vermute, dass man der Meinung war, man müsse auch der NSDAP ihre „demokratischen Rechte“ zugestehen, damit man sie nicht zum Opfer stilisierte, und die Gefahr, die sie darstellte, nicht ernst nahm. Heute gibt es ja ähnliche Argumentationen in Bezug auf die AfD.

Wie verlief der „Blutsonntag“?

7.000 Nazis – uniformierte SA- und SS-Männer – machten sich vom Altonaer Bahnhof aus, unter Beschimpfungen Protestierender am Straßenrand, auf den Weg. Im Verlauf des Marschs sind dann unter bislang ungeklärten Umständen zwei SS-Männer erschossen worden. Daraufhin schritt die Polizei ein und schoss auf alles, was sich bewegte.

Wie wurde das begründet?

Es wurde behauptet, es sei mit Heckenschützen zu rechnen, die nun auf die Polizei schössen. Außer den zwei SS-Männern starben 16 Zivilisten – wie genau, ist bis heute nicht offiziell geklärt. Der Autor Robert Brack hat bei seinen Recherchen für den Roman „Blutsonntag“ allerdings die Zeugenaussagen dazu ausgewertet und die Täterschaft der Hamburger Polizeieinheit unter Befehl des Oberleutnants Kosa herausgearbeitet. Auch spätere Obduktionen ergaben, dass die meisten Schüsse aus Polizeiwaffen kamen.

Wurden die Polizisten juristisch belangt?

Nein, bis heute nicht. Stattdessen wurden vier Protestierende verhaftet: August Lütgens, Bruno Tesch, Walter Möller und Karl Wolff ­wurden beschuldigt, die beiden SS-Männer erschossen zu haben.

Gab es Beweise?

Nein. Wie sich später herausstellte, wurde mit erpressten oder bezahlten Zeugenaussagen gearbeitet, die nachweislich falsch waren. Die vier wurden zunächst freigelassen, aber bald nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 wieder verhaftet. Im ersten von mehreren Blutsonntags-Prozessen wurden sie zum Tode verurteilt – die ersten Todesopfer­ der NS-Justiz. Am 1. August 1933 wurden sie im Hof des Altonaer Untersuchungsgefängnisses ­hingerichtet.

Warum traf es diese vier?

Gedenkveranstaltung für die vier Hingerichteten des Altonaer Blutsonntags: heute, 17 Uhr, hinter dem Amtsgericht Hamburg-Altona (Zugang über Gerichtstraße)

Sie waren alle Kommunisten, aber der einzig Aktenkundige war August Lütgens. Er gehörte zu den Roten Matrosen des Aufstands von 1918. Er war Mitbegründer der KPD und 1923 beteiligt am bewaffneten Hamburger Aufstand nach dem Vorbild der Oktoberrevolution. Nach mehrjährigem Exil in der Sowjetunion kam er zurück, um im Rotfrontkämpferbund gegen die zunehmenden Provokationen und Morde durch die Nazis vorzugehen.

Was warf man ihm nun vor?

Er war der Hauptangeklagte, dem man anlastete, die Ermordung der SS-Männer geplant zu haben.

Die Todesurteile wurden erst 1992 aufgehoben.

Weil es in der Nachkriegs-Bundesrepublik lange hieß: „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“ Das galt besonders für politische Prozesse gegen Kommunisten. Versuche von Angehörigen, Urteile des Altonaer Blutsonntags revidieren zu lassen, wurden regelmäßig zurückgewiesen.