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Angekommen in der deutschen Bürokratie

In Bad Segeberg gibt es nun eine „Registrierstraße“, in der ukrainische Geflüchtete vom Land Schleswig-Holstein registriert werden. So sollen Kommunen entlastet werden

Von Esther Geißlinger

Der junge Mann im Rollstuhl hat Tränen in den Augen. Seine Stimme ist wegen einer spastischen Lähmung nicht leicht zu verstehen, aber die Botschaft ist deutlich: „Ukraine! Nach Hause!“ Seine Eltern, die neben ihm sitzen, lächeln müde: Es wird vermutlich lange dauern, bis sie wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Sie sind vor einigen Wochen mit dem Auto aus der Region Luhansk gekommen, jetzt warten sie darauf, sich in Deutschland registrieren zu können. Dafür hat das Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge in Schleswig-Holstein in Bad Segeberg eine zentrale „Registrierstraße“ eingerichtet. Mit dem Angebot will die Landesbehörde die Kreise und Städte entlasten und Wartezeiten verkürzen.

Bundesweit klagen Geflüchtete darüber, dass es generell zu lange dauert, bis die Registrierung möglich ist. Dabei ist sie wichtig, weil die Registrierkarte den Weg frei macht zu Integrationskursen, Wohnung und Arbeit. In Hamburg sprach Innensenator Andy Grote (SPD) von einem „Flaschenhals“ und beklagte im März: „Nach wie vor schaffen wir es nicht, die Ankünfte, die an einem Tag kommen, auch an dem Tag zu registrieren.“

Es kam vor, dass Menschen über Nacht vor der Registrierungsstelle im Amt für Migration auf dem Gehsteig kampierten. Aktuell berichtete der NDR auch für Schleswig-Holstein von „monatelangen Wartezeiten“, und die Lübecker Nachrichten schrieben vom „Chaos bei Registrierung“.

Doch ausgerechnet jetzt, da das Landesamt zum Pressetermin eingeladen hat, kommt erst mal niemand. So muss Landesamtsdirektor Dirk Gärtner das Zelt, in dem Wartende sich aufhalten können, ohne Menschen präsentieren. Es riecht nach Essen, an einem Ausgabe-Tresen steht Obst bereit. Das Zelt ist neu und hell, Gärtner nickt zufrieden. Das Landesamt betreibt in Bad Segeberg eine von derzeit fünf Unterkünften für Geflüchtete. 735 Menschen aus Afghanistan, Syrien, dem Iran, dem Irak und aus der Ukraine leben in Containern oder in mehreren Backsteingebäuden einer ehemaligen Kaserne.

Wie es weitergeht? Irina zuckt mit den Schultern und wendet den Blick ab. Sie will in die Heimat zurück

Die „Registrierstraße“ ist in einem dieser Häuser untergebracht, hat aber eigentlich nichts mit der Unterkunft zu tun: Hierher kommen Ukrainer*innen, die bereits in einem Kreis oder einer der kreisfreien Städte im Land untergekommen sind. „Wir sind alle bemüht, die Leute aufzunehmen“, sagt Stephan Beitz, Sprecher der Stadt Neumünster, stellvertretend für die Kommunen. Doch das Registrierungsverfahren sei „ein Kraftakt“.

Wie das funktioniert, ist in der „Registrierstraße“ zu sehen, einem langgestreckten Raum mit mehreren Schreibtischen mit Computern und biometrischen Scannern, sogenannte PiC-Stationen. Inzwischen sind doch einige Ukrai­ne­r*in­nen eingetroffen, darunter Irina mit ihren beiden Söhnen Vitalii (17) und Miroslav (11). Die Familie stammt aus Mykolajiw nahe dem Schwarzen Meer, der Vater ist dort geblieben. Mutter und Söhne sind seit gut einem Monat in Deutschland, der ältere hat einen Intensivsprachkurs belegt und kann bereits ein paar Brocken Deutsch, der jüngere geht zur Schule. Untergekommen sind sie in einem privaten Haus im Dorf Rellingen mit zwei weiteren ukrainischen Frauen und ihren Kindern.

Wie es weitergeht? Irina zuckt mit den Schultern und wendet den Blick ab. Sie will gern in ihre Heimat zurück, doch wann und wie steht in den Sternen. Bis dahin gilt es, sich in Deutschland einzugewöhnen. Die Registrierung ist da ein wichtiger Schritt.

Ihre Fingerabdrücke werden erfasst, dann ein Foto angefertigt. Die Abdrücke und Bilder werden mit Datenbanken abgeglichen, um Doppelmeldungen zu vermeiden. Für viele Beschäftigte der kommunalen Ausländerbehörden war dieses Verfahren ungewohnt, auch läuft die Technik nicht immer ruckelfrei, und die PiC-Scanner sind schwer zu beschaffen.

Das Landesamt habe also „Bedarf gesehen“, den Kommunen, in deren Aufgabenbereich die Registrierung fällt, ein freiwilliges Angebot zu machen, sagt Gärtner. Seit dem Start der zentralen Stelle im Mai haben in Bad Segeberg 3.000 Menschen das Verfahren durchlaufen. 100 Personen am Tag könnten erfasst werden, dazu stehen vier der Spezial-Scanner bereit.

Ein Knackpunkt ist das Personal: Im Idealfall sollten 18 Fachkräfte die Daten erfassen und die Angaben prüfen. Zum Zeitpunkt des Pressetermins sitzen an zwei Schreibtischen je drei Personen. Für den aktuellen Bedarf scheint das ausreichend: Um Gedränge zu vermeiden, darf jede Region in Schleswig-Holstein zu bestimmten Zeiten Personen zur Registrierung schicken. Gerade ist der Kreis ­Pinneberg dran, und an diesem Tag scheint der Bedarf nicht groß zu sein. Oder die Menschen finden den Weg in die Unterkunft am Stadtrand nicht: „Wir mussten auch erst die Logistik aufbauen, die Menschen herzubringen“, berichtet Beitz. Aus Neumünster fährt jeden Donnerstag ein Bus direkt zur Registrierungsstelle.

Für die Ukrai­ne­r*in­nen gilt aufgrund neuer Gesetze ein beschleunigtes Verfahren, das weniger aufwendig ist als das Asylverfahren, bei dem Geflüchtete beweisen müssen, dass sie individuell verfolgt wurden. Seit Beginn des russischen Angriffs sind 32.964 Menschen aus der Ukraine in Schleswig-Holstein registriert worden, das entspricht den Prognosen aus dem Februar.

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