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Göttingen spart GasAppell zeigt Wirkung

In der Göttinger Zentralmensa sind dauerspülende Riesenmaschinen in Betrieb und verbrauchen jede Menge Energie. Die Mensa macht nun früher zu.

Auf dem Weg zur Mensa in Göttingen Foto: Swen Pförtner/dpa/picture alliance

GÖTTINGEN taz | So groß wie zwei Seminarräume zusammen ist der Spülbereich der Göttinger Zentralmensa. Jörg Magull hat sich einen weißen Kittel übergeworfen und führt entlang der zwei Spülmaschinensysteme, die jeweils rund acht Meter lang und vier Meter breit sind. „Ich brauche Ihnen gar keine konkreten Zahlen zur Leistung nennen, Sie sehen ja die Dimensionen“, sagt der Geschäftsführer des Studentenwerks Göttingen. Silbern glänzen die Abdeckungen der einzelnen Spülschrittanlagen, Wasserdampf zischt, Geschirr klirrt. Doch zur Anschauung, wie das Tablett mit schmutzigem Geschirr nun seinen Spülweg durch die einzelnen Stationen nimmt, braucht es ein bisschen Wartezeit – es hat gerade anscheinend niemand ein Tablett auf das Laufband gestellt, das das dreckige Geschirr aus der Mensa über ein Förderband nebenan in den Spülbereich transportiert.

Aber es ist auch erst halb zwölf vormittags, die Zentralmensa der Universität Göttingen – kurz: Z-Mensa – öffnet gerade ihre Türen. Es ist Montag, seit heute läuft kein Gas mehr über die Pipeline Nord Stream 1. Ob durch sie nach der angekündigten Wartung wieder Gas nach Deutschland geliefert wird, ist unklar. Erst in ein paar Tagen wird darüber Gewissheit herrschen, wenn die Wartungsarbeiten abgeschlossen sind und sich zeigt, ob Putin den Hahn zugedreht lässt.

Beim Studentenwerk Göttingen herrscht nicht erst seit Montag mittelschwere Panik. Vorige Woche beschloss Magull, die Öffnungszeiten der Z-Mensa zu verkürzen. Statt um 17 Uhr schließt das Mensapersonal die Glastüren zur Essensausgabe nun schon um 14.30 Uhr.

Eine Lappalie, mag man sich denken. Fies vielleicht für langschlafende Langzeitstudent:innen. Jörg Magull nimmt diese Änderung jedoch ziemlich ernst, er hat sie schließlich zu verantworten.

Wegen der angespannten Lage

Denn einerseits: Da war der Appell von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). „Er hat alle aufgerufen, Gas zu sparen“, sagt Magull. „Das machen wir nun.“ In Deutschland herrscht seit dem 23. Juni die Alarmstufe des Notfallplans Gas. Die Versorgungssicherheit sei zwar gegenwärtig gewährleistet, aber die Lage angespannt, sagte Habeck an jenem Tag. Die Alarmstufe ist die zweite von drei Stufen des Notfallplans. Ende März war bereits die erste, die Frühwarnstufe, ausgerufen worden.

Gespart werden kann am Dampf, der zum Kochen und Spülen gebraucht wird

Zum anderen ist es nicht allein die Überzeugung, dass Habecks Appell sinnvoll ist. Die nackten Zahlen der Tabelle, die in Magulls Händen auf einem Zettel stehen, sprechen für ihn eine klare Sprache. Bei rund 300.000 Euro lagen die Energiekosten zum Betrieb der Uni-Gastronomie bislang pro Jahr. Nach gegenwärtigem Stand müsse das Studentenwerk ab dem 1. Januar 2023 mit etwa 460.000 Euro rechnen. „Ob Gas, Strom oder Fernwärme – uns wurden schon massive Preiserhöhungen von unseren Versorgern angekündigt“, sagt Magull.

Nach Habecks Appell und den gleichzeitig eintrudelnden Mitteilungen über die Preiserhöhungen rief Magull seine Energieexperten zusammen. Wo können wir Energie sparen, sollte die Runde beantworten.

In der Mensa ist es der Dampf, der zum Kochen und Spülen gebraucht wird. Erhitzt wird der Dampf durch Gas. Die geschirrspülenden Riesenmaschinen müssen durchgehend laufen, solange Tabletts mit Tellern und Schüsseln voll Mahlzeiten ausgereicht werden. Denn auch wenn gerade kein Geschirr gewaschen werden muss, laufen die Rollbänder weiter, wird Dampf produziert, muss das Spülwasser auf nahezu 100 Grad Celsius weiterbeheizt werden.

Der Betrieb dieser Ungetüme ist das Problem, seitdem Energie aus Gas plötzlich nicht mehr spottbillig und ohne Ende verfügbar ist. Am Nachmittag ist die Auslastung nicht sonderlich hoch, auch immer noch ein wenig wegen der Folgen der Pandemie. Jeder Kubikmeter Gas, den das Studentenwerk jetzt einspart, hilft, dass drastischere Maßnahmen ab dem kommenden Jahr verhindert werden, so Magulls Überzeugung.

Viele Gespräche geführt

Die Befürchtung, dass die Maßnahme nicht gut ankommt, merkt man Magull an. Die Empörung schlägt im Universitätsstädtchen schnell hoch: Dass in der Z-Mensa die Currywurst künftig vegan ist, hat im vergangenen Herbst für eine mittelschwere Empörungswelle bei Teilen der rund 40.000 Studierenden gesorgt. Dieser Schreck steckt dem Göttinger Studentenwerk noch in den Knochen.

Viele Gespräche hat Magull deshalb in den vergangenen Tagen geführt, wiederholt er mehrfach, und es wurde versucht, die Maßnahme umfassend auf den relevanten Kanälen zu begründen. „Instagram, Facebook, Youtube“, zählt Magull auf.

Diesmal bleibt der Aufschrei aus. Fragt man die kleineren und größeren Gruppen von Studierenden, die vom Uni­foyer die Treppe hoch zur Mensa nehmen, was sie von der Maßnahme halten, erntet man kollektives Schulterzucken. „Gibt Schlimmeres“, sagt einer von ihnen und erzählt seinen Kom­mi­li­to­n:in­nen dann weiter davon, dass er gerade – hoffentlich im Rahmen des Medizinstudiums – einen Darm seziert habe.

Das Gas in Niedersachsen

Alle brauchen jetzt dringend Gas, nicht nur in Göttingen, der Unistadt in Niedersachsen. Dabei spielt die Debatte über den richtigen Weg aus der Gaskrise vor allem in diesem Bundesland: Der Bau des LNG-Terminals zum Import von Flüssigerdgas läuft im niedersächsischen Wilhelmshaven nun auf Hochtouren und die überwiegende Menge heimischen Gases lagert in Niedersachsen. Auch mittels Fracking soll dieser Schatz nach dem Willen mancher geborgen werden, um das russische Gas zu ersetzen.

Alles lieber weiter wie gehabt, bitte – das ist das Credo der einen Seite. Und andererseits wird gesagt: Wir müssen jetzt überall einsparen, soweit das möglich ist. Eine Einsicht, die sich dieser Tage immer mehr durchzusetzen scheint, nicht nur in der Göttinger Mensa. Kommunen kündigen an, die Wassertemperatur in den Schwimmbädern niedriger zu halten, Ampeln sollen nachts abgeschaltet werden. Der Bundestag und die Länderparlamente äußerten sich ebenfalls über erste Pläne, dass ja die Raumtemperatur in den Abgeordnetenbüros etwas weniger gekühlt sein könnte.

Jeden Tag ploppen nun ähnliche Meldungen überall aus Deutschland auf. Das Göttinger Studentenwerk war eine der ersten öffentlichen Einrichtungen, die Einsparungen ankündigten.

taz am wochenende

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Es sind die ersten Zeichen, die öffentlichkeitswirksam gesetzt werden. Wie hoch die Gas­ein­sparung durch die Maßnahme sein wird, weiß Magull noch nicht. Es gebe wegen der vergangenen beiden Pandemiejahre keine sinnvollen Vergleichswerte. „Es ist, wie es ist“, sagt er schulterzuckend. „Wir schauen jetzt jeden Tag, was wir noch machen können.“ Später zeigt er im großen Speisesaal an die Decke. „Was fällt Ihnen auf?“ Ah, die Deckenbeleuchtung ist gar nicht angeschaltet. Beschwert habe sich darüber bislang auch noch niemand.

Um 14.28 Uhr tritt eine der Mensaangestellten zur Eingangstür. „Wer noch etwas zu essen haben will, hat noch zwei Minuten, dann schließe ich“, ruft sie gut gelaunt. Eineinhalb Minuten später: „Schnell!“, ruft sie einer jungen Frau laut zu, die gedankenverloren die Treppe hinaufspaziert. Die schaut entsetzt hoch und beschleunigt ihr Schritttempo. „Wir haben doch nur noch bis 14.30 Uhr auf“, erklärt ihr die Mensafrau, als sie an ihr vorbeihechelt. Auch die Mensaangestellte – an deren Arbeitszeit trotz der verkürzten Öffnungszeiten aber nicht gespart wird – entschwindet danach zur Es­sens­aus­gabestelle und schließt die Glastür hinter sich ab. Einige Sekunden später steht eine andere Studentin vor der verschlossenen Tür und dreht entnervt ab.

Um kurz nach 15 Uhr stellen die letzten Studierenden ihre Tabletts auf das Förderband. Keine drei Minuten dauert es, bis sie eine der Spülmaschinen durchlaufen haben. Dann können sie für heute abgestellt werden.

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