Bernstein aus der Kreidezeit: Das Sozialleben von Ameisen
Ein kleines Stück Bernstein mit eingeschlossenen Fossilien zeigt, dass die Sozialstruktur von Ameisenstaaten schon in der Evolution angelegt war.
Unzählige kleine braunschwarze Körper bedecken den Hügel. Ein scheinbar unkontrolliertes, aber geschäftiges Hin- und Herkrabbeln so vieler Tiere, dass sie nicht alle klar erkennbar sind. Ein Ameisenhügel kann eine starke Faszination auslösen. Bei genauerer Betrachtung wird aus dem Gewusel ein koordiniertes Miteinander, bei dem jedes Tier seine Aufgabe hat. Die Arbeit verteilt sich auf drei Kasten, ganz oben die Königin, die die Eier legt. Die Männchen haben einzig die Aufgabe, diese zu befruchten. Die größte Gruppe bilden die Arbeiterinnen, die für Nahrung und Nestbau sorgen und sich um den Nachwuchs kümmern. Diese Arbeitsaufteilung nennt sich Eusozialität.
Wir lernen das Ameisenleben meist von Kindesbeinen an kennen, da es so einzigartig, spannend und für Kinder oft eine faszinierende Beobachtung ist. Doch seit wann machen das die Ameisen schon, wann entwickelte sich diese besondere Form des gemeinschaftlichen Zusammenlebens?
Die Antwort steckt im Bernstein. Vier in diesem eingeschlossene Fossilien untersuchten die Wissenschaftler um Brendon E. Boudinot, gegenwärtig in Jena forschend. Die Ergebnisse wurden im Zoological Journal of the Linnean Society veröffentlicht. Genauer handelt es sich um drei flügellose ausgewachsene weibliche Ameisen nebst einer Puppe. Es ist der erste gefundene gemeinsame Einschluss mehrerer Lebensstadien von mesozoischen Ameisen.
„Wir entdeckten, dass die rund 100 Millionen Jahre alten Fossilien außergewöhnlich gut erhaltenes Weichgewebe besitzen. Darunter Muskeln, Nerven und Gehirne“, erklärt Boudinot. Mittels Röntgen-Mikro-Computertomografie konnten die Fossilien anhand ihrer Gewebe genauer untersucht und identifiziert werden. Bei dieser Methode handelt es sich um eine 3D-Visualisierung, bei der Röntgenstrahlen genutzt werden, um ein Objekt schichtweise zu betrachten. Bei der Untersuchung kam es zu zwei aufsehenerregenden Entdeckungen. „Wir waren nicht nur in der Lage, eine neue Spezies in dem Bernstein zu identifizieren, sondern auch zu belegen, dass die Puppe zu einer der erwachsenen Ameisen gehört“, erzählt Boudinot.
Zwei der Tiere gehören einer bisher unbekannten Art der ausgestorbenen Ameisenstammgruppe der Gattung Gerontoformica an. Damit ist dies die 14. Art dieser Gattung, die beschrieben wird. Der ersten Beobachtung folgend wurden die beiden Tiere zunächst der bereits bekannten Art Gerontoformica pilosa zugeordnet, doch die genaue Untersuchung mittels der Computertomografie zeigte einige kleine anatomische Unterschiede. Somit kamen die Forscher zu dem Schluss, eine bisher ungekannte Art vor sich zu haben: Gerontoformica sternorhabda.
Die dritte der ausgewachsenen Ameisen konnte eindeutig der Art Gerontoformica gracilis zugeordnet werden und, was die Forscher besonders interessierte, die Puppe scheint ebenfalls der Art G. gracilis anzugehören. Das schlossen die Forscher aus der mehr als doppelt so hohen morphologischen Übereinstimmung mit G. gracilis gegenüber der neuen Art G. sternorhabda.
Zuordnung der Ameisenpuppe
„Die Erkenntnis, dass die Puppe zu einem der adulten Tiere gehört, ist besonders bedeutsam, denn sie zeigt, dass Ameisen sich seit der Zeit der Dinosaurier gemeinsam um ihre Jungen kümmern.“ Über diesen Fakt wurde bereits spekuliert, doch die Hypothese konnte bis vor Kurzem nicht bestätigt werden. Die Puppe erregte die Aufmerksamkeit der Forscher. Da sie sich nicht alleine fortbewegen kann, lag der Schluss nahe, dass sie zu einem der adulten Tiere gehörte. Der Bernstein ist zudem fast frei von Trümmerspuren; die Puppe wurde also sehr wahrscheinlich zeitgleich mit den ausgewachsenen Exemplaren eingeschlossen.
„Dieser sogenannte Bruttransport ist ein einzigartiges Merkmal des arbeitsteiligen Zusammenlebens von Ameisen“, meint Boudinot. Legt man die Hypothese zugrunde, dass flügellose adulte Stammameisen sowohl Pflegerinnen als auch Jägerinnen, also Arbeiterinnen waren, sei davon auszugehen, dass mit dem Bruttransport eine gemeinsame Nahrungssuche einhergeht sowie unterschiedliche Königinnen- und Arbeiterkasten vorhanden waren. Diese Hypothesen bestehen seit einigen Jahren und wurden nun erstmals durch einen materiellen Beweis untermauert. Das Sozialleben der Ameisen gibt es schon seit mindestens 100 Millionen Jahren.
Was sich allerdings wohl nie vollständig durch die Untersuchung von Fossilien klären lassen wird, ist die Frage, ob Ameisen auch eine Periode der obligaten Monogamie durchliefen, bevor sie die Eusozialität für sich entdeckten.
Trotzdem gibt es noch viel zu erforschen. Die Mikrocomputertomografie ermöglicht eine viel detailliertere Bestimmung der inneren Anatomie fossiler Insekten. Die Verwandtschaftsverhältnisse fossiler Arten untereinander und zu heute lebenden Arten lassen sich genauer untersuchen. Vielleicht finden Forscher nun auch Antworten auf die Frage, wie die beiden unterschiedlichen weiblichen Formen bei den Ameisen entstanden. Gingen beispielsweise zuerst die Flügel oder erst die Fruchtbarkeit bei den Arbeiterinnen verloren?
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