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Architektur der DatendemokratieDie Politikmaschinen

Daten sind wichtige Ressourcen. Der Ort, an dem sie gespeichert sind, ist jedoch unsichtbar. Niklas Maak fordert eine neue Architektur der Aufklärung.

Die Serverfarm als öffentlicher Ort, Zeichnung aus dem besprochenen Buch Illustration: Niklas Maak und Stefan Sauter

Als im März 2021 über einem Gebäudekomplex in Straßburg eine große Rußwolke in die Luft stieg, stand buchstäblich eine Cloud in Flammen. Zwei der vier Rechenzentren von Europas größtem Hosting-Anbieter OVH wurden damals zerstört. Infolge des Brandes gingen 3,6 Millionen Websites offline – und auch die meisten der dort gespeicherten Daten verloren. Auf eine Synchronisation ihrer Daten hatten vielen Kunden, darunter auch staatliche Institutionen und Banken, offenbar aus Kostengründen verzichtet.

Diese Episode führt vor Augen, was inmitten der vermeintlichen Ortlosigkeit des Internets meist unsichtbar bleibt: dass unsere Daten nicht nur verletzlich sind, sondern auch ihren physischen Ort haben. Gleichzeitig sind Serverfarmen architektonisch meist unscheinbar gestaltet und sie befinden sich in der Regel abseits der Stadtzentren im Nirgendwo.

An den Rechenzentren zeige sich, wie sehr digitale Macht über eine Mischung aus Unsichtbarkeit und Omnipräsenz funktioniert, argumentiert Niklas Maak in seinem neuen Buch „Servermanifest“, das Rechenzentren demokratiepolitisch, architektonisch, historisch und ökologisch in den Blick nimmt.

Teil des knapp 100-seitigen Bandes sind ein Hintergrundinterview mit dem Architekten Karsten Spengler sowie Entwürfe von Studierenden der Städelschule. Dazu kommt ein Text von Francesca Bria, Chefberaterin der Vereinten Nationen für digitale Städte. In Barcelona hatte Bria vor einigen Jahren einen innovativen und politisch progressiven Umgang mit den Daten ihrer Bür­ge­r:in­nen realisiert.

Niklas Maak: „Server­manifest. Architektur der Aufklärung: Data Center als Politik­maschinen“. Hatje Cantz, Berlin 2022, 112 Seiten, 18 Euro

Der Auspuff der Cloud

Entgegen weit verbreiteter Vorstellungen hat die Cloud einen „ziemlich großen Auspuff“, betont Maak. Allein auf die aufwändig klimatisierten Rechenzentren fallen zwei Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. Wegen des Strombedarfs der eigenen Server würde Frankfurt am Main seine Energieziele für 2050 nicht erreichen. Wäre die Stadt ökologisch besser organisiert, ließe sich jedoch der gesamte Wärmebedarf der dortigen Privathaushalte und Bürogebäude ab 2030 mit der Abwärme der Rechenzentren decken.

Was Maak vorschwebt, weist allerdings weit über ein Plädoyer für eine größere ökologische Effizienz von Serverfarmen hinaus. Es geht ihm vor allem um einen politischen, aufklärerischen Ort; um einen „kollektiven Ort“, an dem je­de:r sehen kann, was digitale Gesellschaften mit den gemeinsam erzeugten Daten machen könnten, würden diese nicht von den meisten Bür­ge­r:in­nen an private Konzerne und Plattformen verschenkt.

Rechenzentren wären demzufolge gestaltet als eine Mischung aus Rathaus, Park, offenem Platz, Ausstellungsräumen, Forschungseinrichtungen und öffentlicher Serverfarm. Wichtige politische Fragen unserer Zeit würden dadurch buchstäblich ins Zentrum der Gesellschaft gerückt. Maak fordert eine aktuelle Version des 1977 in Paris errichteten Centre Pompidou. Es brauche ein ähnliches Symbol der Bürgerfreiheit wie einst das Rathaus als Gegengewicht zum Schloss des Feudalherren.

Das weltweit erste Rechenzentrum entstand bereits 1946 im Kontext des Zweiten Weltkriegs in Philadelphia, in der BRD Jahre später in Darmstadt. Auch die DDR-Machthaber schufen 1968 ein zentrales Rechenzentrum für planwirtschaftliche Berechnungen. Platziert in der Ruine der geschichtsträchtigen Potsdamer Garnisonkirche, zeigte sich an seiner Architektur der realsozialistische Fortschrittsoptimismus. Noch heute ist dort das mehrteilige Glasmosaik „Der Mensch bezwingt den Kosmos“ zu sehen.

Serverfarm-Architekturen

Die Versuche des britischen Kybernetikers Stafford Beer in Chile unter Salvador Allende sind ebenfalls Thema in „Servermanifest“. Derartige Ausflüge in die Geschichte der Rechenzentren lesen sich faszinierend.

Zusammen mit Beispielen für zeitgenössische Serverfarm-Architekturen aus Amsterdam, Leeds oder Barcelona sowie inspirierenden Architekturen demokratischer, öffentlicher Orte aus Berlin, São Paulo oder California City zeigen sie, wie sehr Macht und Politik – wohl oder übel – auch mit Architektur zusammenhängen.

„Servermanifest“ stellt daher dezidiert auch die Frage nach politischen Machtverhältnissen. Es gehe um nichts weniger als die digitale Souveränität Europas, die zerrieben werde zwischen dem Überwachungskapitalismus chinesischer Prägung und den Datenmonopolen der Tech-Giganten.

„Servermanifest“ ist ein inspirierendes und unbedingt lesenswertes Buch!

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