Eine sehr deutliche Zäsur

Der Armutsforscher Christoph Butterwegge fragt nach den Folgen der Coronapandemie

Christoph Butter­wegge: „Die polari­sierende Pandemie. Deutschland nach Corona“. Beltz Verlag, Weinheim 2022. 250 Seiten, 19,95 Euro

Von Micha Brumlik

Epidemien sind auf den ersten Blick die gesundheitsschädlichen Auswirkungen außergesellschaftlicher Ursachen wie Viren, Bakterien oder anderer Mikroorganismen. Sie erweisen sich aber innerhalb kürzester Zeit als Faktoren, die auch und sogar die innergesellschaftlichen Strukturen massiv beeinflussen und sogar verändern können. Nicht zuletzt mit Blick auf die Lebenslagen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. Das ist in unserem Kulturkreis seit den biblischen zehn Plagen bekannt oder seit der mittelalterlichen Pest, der spanischen Grippe, Aids und last but not least der global wütenden Coronaepidemie.

Der Soziologe und Armutsforscher Christoph Butterwegge hat nun ein ebenso kompaktes wie bestens lesbares Resümee aller Forschungen publiziert, die in Deutschland und international zu den Auswirkungen der Epidemie erhoben wurden. Dabei geht es ihm vor allem um den Nachweis, dass und wie die Pandemie unterschiedliche Bevölkerungsgruppen getroffen und somit die in der Bundesrepublik Deutschland ohnehin starke soziale Ungleichheit massiv verstärkt hat. Tatsächlich nämlich hat sich die allgemeine Lebenslage des wohlhabenderen Teils der bundesdeutschen Bevölkerung nur geringfügig verschlechtert, während Butterwegges Überblickstudie präzise nachweist, dass und wie Schließungen und Geschäftsaufgaben vor allem das ärmere Drittel der Bevölkerung, deren Randgruppen und nicht zuletzt Frauen sowie Kinder und Jugendliche getroffen haben; wobei er die wichtige Frage stellt, ob sich tatsächlich sinnvoll von einer „Generation Corona“ sprechen lässt.

So stellt sich nicht nur heraus, dass ärmere SeniorInnen eine besonders gefährdete und schlecht geschützte Bevölkerungsgruppe darstellen, dass man im Blick auf Frauen und deren pflegende und helfende Leistungen von einem „erschöpften Geschlecht“ sprechen muss und dass womöglich eine „Generation Corona“ als eine Generation massiv ungleich gestellter Jugendlicher und junger Erwachsener in unser aller Erinnerung bleiben wird. Aber da war nicht nur die verschärfte soziale Ungleichheit, sondern auch der Umstand, dass so gut wie alle Kinder und Jugendlichen ihrer gewohnten Alltagsstruktur verlustig gingen, weil, so Butterwegge, die Jugendlichen „in aller Regel kontakt-, kommunikations- und reisefreudiger sowie erlebnishungriger sind als Erwachsene“.

Die vielen Lockdowns trafen indes nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch jene Studierenden, die nicht mit der Unterstützung wohlhabender Familien rechnen durften, sondern auf Nebenjobs angewiesen waren, die aufgrund zahlreicher Schließungen einfach entfielen, was in nicht wenigen Fällen zu Studienabbrüchen führte. Daher kommt Butterwegge zu einer eindeutigen Schlussfolgerung, die durch die von ihm referierten Studien gedeckt sind: „Man kann von einer ‚Generation Corona‘ sprechen, weil das Virus ihr Aufwachsen erheblich beeinträchtigt und die Pandemie als biografische Zäsur gewirkt, sie mehr als Erwachsene vorüber­gehend aus der Bahn geworfen und sich ihnen der Kontaktmangel als kollektive Schlüsselerfahrung möglicherweise ins Gedächtnis gebrannt hat.“

Es liegt derzeit kein anderes Werk vor, dass so viele Studien sachkundig wiedergibt

In den letzten Kapiteln seines Buchs zieht Butterwegge „Lehren aus der Pandemie“: Er untersucht eine ganze Reihe sozialstaatlicher Vorschläge und plädiert schließlich für einen, wie er es nennt, „inklusiven Sozialstaat“ und damit für ein gerechtes Steuersystem, nicht ohne zu versäumen – wie bereits in anderen Publika­tio­nen – gegen die Idee eines „bedingungslosen Grundeinkommens“ zu polemisieren.

Es liegt derzeit kein anderes Werk vor, dass so viele Studien zu den sozialen Auswirkungen von Corona sachkundig wiedergibt und so einfühlsam auf die Lage der jüngeren Generationen eingeht. Ob es vor diesem Hintergrund wirklich nötig ist, sich noch einmal in extenso mit dem Gedanken eines garantierten Grundeinkommens auseinanderzusetzen, darf freilich bezweifelt werden.