WTO gibt Lebenszeichen

Die 164 Mitglieder der Welthandelsorganisation einigen sich erstmals seit neun Jahren auf ein Abkommen. Es geht um Patente für Impfstoffe, Subventionen für die Hochseefischerei und um den weltweiten Hunger. Harte Kritik von NGOs

Aus Basel Christoph Müller

Um 5 Uhr in der Früh gab es Applaus: Am Freitag ging in Genf die Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO nach zähen Verhandlungen zu Ende – zwei Tage später als gedacht, aber mit den ersten multilateralen Abkommen seit neun Jahren, dem „Genf-Paket“. Es werde „das Leben der Menschen auf der ganzen Welt verbessern“, sagte WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala. Die Ergebnisse zeigten, dass die WTO „in der Lage ist, auf die Notlagen unserer Zeit zu reagieren“.

Streit unter den 164 Mitgliedsländern hatte die Funktionsfähigkeit der WTO zuvor jahrelang infrage gestellt. Und wieder gab es heftige Kritik an den Ergebnissen. Die Einigung zu Patenten für Corona-Impfstoffe hebe „die geistigen Eigentumsrechte nicht für alle erforderlichen medizinischen Mittel in angemessener Weise auf“, ärgerte sich die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Außerdem schaffe der Deal „einen schlechten Präzedenzfall für künftige Pandemien“. Indien und Südafrika drängen seit zwei Jahren darauf, Impfstoffe selbst herstellen und exportieren zu dürfen. Die EU und auch Deutschland lehnten dies aber stets ab: Die Hersteller hätten dann keinen Anreiz mehr, solche Mittel zu entwickeln. Laut dem Genfer Kompromiss sollen Patente auf Corona-Impfstoffe für Entwicklungsländer nun fünf Jahre lang aufgehoben werden. Für Corona-Medikamente gilt dies hingegen nicht.

Der größte Erfolg des Genf-Pakets ist wohl das Abkommen zu Subventionen für den Fischfang. Über deren Verbot wurde 21 Jahre lang verhandelt. Rund ein Drittel der globalen Fischbestände gilt als überfischt. Nun sollen zumindest Subventionen für den illegalen Fischfang wegfallen, damit sich die Fischbestände erholen können. Der WTO-Mitglieder einigten sich zudem darauf, den Fischfang auf der Hochsee nicht länger zu subventionieren. Fischfang außerhalb der 200-Meilen-Zone dürfte sich dann in den meisten Fällen nicht mehr lohnen. Laut Studien ist mehr als die Hälfte der Hochseefischerei nur wegen Subventionen profitabel.

Die Minister stimmten zudem zu, dass Einkäufe des Welternährungsprogramms, das Hungernden in aller Welt mit Nahrungsmitteln hilft, nicht durch Ausfuhreinschränkungen behindert werden sollen. Allerdings ließen sie gleichzeitig das Türchen offen, genau dies zu tun, wenn es dazu dient, die eigene Bevölkerung adäquat zu versorgen. Wichtig für Indien, das mit einem Exportverbot für Weizen die Versorgung der eigenen Bevölkerung sicherstellen will. Die Länder einigten sich auch darauf, sich noch einmal an einer Reform der WTO zu versuchen. Derzeit ist das Schiedsgericht der WTO für Handelsstreitigkeiten nicht entscheidungsfähig, weil die USA sich weigern, neue Richter zu berufen. Für Washington übertrat das Gericht zuletzt seine Befugnisse. Diese Blockade soll nun in den kommenden zwei Jahren gelöst werden. Für EU-Handelskommissar Valdis Dom­brovskis ist das von zentraler Bedeutung: „Letztlich geht es darum, das regelbasierte multilaterale Handelssystem mit einer reformierten WTO als Kernstück aufrechtzuerhalten.“

NGOs kritisierten die WTO-Ergebnisse hart. Zwar hätten alle strittigen Themen Auswirkungen auf Umwelt und Klima, sagte Greenpeace-Experte Jürgen Knirsch. „Aber Klimaschutz und die Erhaltung der Artenvielfalt tauchten in den Verhandlungen so gut wie gar nicht auf.“