Vor dem AfD-Bundesparteitag in Riesa: Auf dem rechten Weg
Hauen und Stechen in der AfD: Aus der Schlammschlacht vor ihrem Parteitag könnte ein Sieger hervorgehen, der abgeschrieben schien – Tino Chrupalla.
E s herrschte fast so etwas wie erleichterte Ausgelassenheit in dem italienischen Restaurant im Berliner Regierungsviertel, in das vier ranghohe AfD-Politiker an einem Montagabend Mitte Mai geladen haben. Üblicherweise veranstalten sie beim Italiener informelle Hintergrundgespräche mit Journalist*innen, aus denen nur mit Absprache zitiert werden darf. Heute hingegen dürfen alle Zitate direkt veröffentlicht werden.
Kein Wunder, dass es voller ist als sonst – in dem mit einer aufgestellten Holzwand abgetrennten Séparée wird es eng, drei Tische sind über Eck zusammengestellt. Es läuft seichter Italo-Pop, einige der AfD-Leute trinken Weißwein, andere Wasser. Im Zentrum der Tafel sitzen die Abgeordneten. Die Gruppe um das Vorstandsmitglied und die Bundestagsabgeordnete Joana Cotar hat sich endlich getraut, aus der Deckung zu kommen – und sie spüren so etwas wie Aufwind.
Joana Cotar, AfD-Vorstandsmitglied und Bundestagsabgeordnete
Cotar greift AfD-Chef Tino Chrupalla offen an – einen Tag nach der Wahlschlappe in Nordrhein-Westfalen, eine Woche nachdem die Partei in Schleswig-Holstein erstmals aus einem Landtag geflogen ist. Joana Cotar sagt: „Tino Chrupalla und sein Team haben versagt. Tino kann nicht führen, keine Verantwortung tragen und verträgt keine Kritik.“ Der neben ihr sitzende Bundestagsabgeordnete Jürgen Braun ergänzt: „Wir lassen uns unsere Partei nicht kaputt machen und holen uns unsere Alternative für Deutschland zurück!“
Es ist der Auftakt des traditionellen Hauens und Stechens, das fast jeden Bundesparteitag in der AfD seit ihrer Gründung begleitet hat. Nun steht ab diesem Freitag beim dreitägigen Mammut-Parteitag im sächsischen Riesa erneut ein richtungsweisender Showdown bevor. Es spricht einiges dafür, dass trotz der versuchten Revolte beim Italiener ein erneuter Rechtsruck bevorsteht.
Knapp 600 Delegierte sollen alle Ämter vom Bundesvorstand bis zum Schiedsgericht neu wählen. Ebenso wird entschieden, ob die Partei künftig eine Einzel- oder Doppelspitze haben wird und ein Generalsekretär eingeführt werden soll. Der Thüringer Björn Höcke strebt nach mehr bundespolitischem Einfluss, und die alte Mehrheit im Bundesvorstand der vermeintlich Gemäßigten um den mittlerweile ausgetretenen Jörg Meuthen dürfte erodieren.
Beim Italiener Mitte Mai klingen die vier Abgeordneten noch zuversichtlich, dass mit dem Parteitag ein Aufbruch der vermeintlich Gemäßigten bevorsteht – sowie die Abwahl des im Osten verwurzelten und von der völkischen Strömung unterstützten Chrupalla. Cotar sagt: „Wir sitzen nicht nur zu viert hier. Es gibt eine ganze Menge, die jetzt die Schnauze voll haben und bereit sind, dazu Statements abzugeben.“
Man habe ein breites Unterstützerumfeld von Abgeordneten aus dem Bundestag und Landtagen, die nun ebenfalls aus der Deckung kommen wollten, verspricht sie. „Hier bricht sich eine Bewegung Bahn“, glaubt gar Frank-Christian Hansel, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses.
Es sind die Reste des Meuthen-Lagers, der so lange zur Verharmlosung der extrem rechten AfD beigetragen hat, bis seine Galionsfigur die Partei selbst wegen ihrer Rechtsradikalität verließ. Seine ehemaligen Mitstreiter*innen hadern noch immer mit dessen Abtritt und wollen die Abwärtsspirale aus fortschreitender Radikalisierung, Verfassungsschutzbeobachtung, Wahlniederlagen und schwindenden Mitgliederzahlen aufhalten. Dafür orientieren sie sich etwa an Marine Le Pen, die rassistische und antidemokratische Inhalte mit einem professionellen und freundlichen Auftreten zu kaschieren versucht.
Die Programmatik der AfD sei nicht schlecht, sind sich die Abgeordneten einig. Aber: „Wir müssen weg von brüllenden Reden, hin zu lächelnden Auftritten“, sagt Cotar – man müsse weg von der Wutbürgerpartei, die auf dem Marktplatz pöbelt und selbst diejenigen nicht vor den Kopf stoße, welche „die krudesten Verschwörungstheorien vertreten“.
Gute Laune herrscht beim Italiener trotz der Wahlniederlage tags zuvor auch deswegen, weil ihr orchestrierter Angriff auf Chrupalla dem ersten Anschein nach erfolgreich war. Der Parteichef musste am Morgen vor der Hauptstadtpresse Rede und Antwort stehen, um die Verluste in NRW zu erklären. Die AfD wollte mal rechte Volkspartei werden, mittlerweile dümpelt sie im Westen bei fünf Prozent und fährt selbst im Osten Wahlniederlagen ein.
Chrupallas Gegner um Joana Cotar haben im Vorfeld eine Pressemitteilung mit Sperrfrist rausgehauen. Das bedeutet, dass Zitate und Inhalte der Mitteilung erst ab Beginn von Chrupallas Pressekonferenz veröffentlicht werden dürfen, bekannt waren sie den Journalist*innen aber schon vorher. Es ist perfide: Der Angriff soll maximalen Schaden anrichten, die anwesenden Journalist*innen können Chrupalla direkt mit Zitaten seiner Gegner konfrontieren und live seine Reaktion verfolgen.
Cotar schreibt, mit Chrupalla ende die Erfolgsgeschichte der AfD, er dürfe nicht wieder antreten. Sie macht ihn allein für die zehn in Folge verlorenen Landtagswahlen verantwortlich. Sie werfen ihm seine Russlandfreundlichkeit selbst noch nach Putins Angriff auf die Ukraine vor.
Chrupalla ließ sich in der Vergangenheit wie ein Regierungsvertreter stolz vom russischen Außenminister Sergei Lawrow hofieren. Umso kontroverser ist Chrupallas jetzige Zurückhaltung bei der Verurteilung Russlands für Kriegsverbrechen auch innerhalb der AfD. Unvergessen bleibt seine denkwürdige Rede, in der er drei Tage nach Putins Überfall im Bundestags Russland für die Wiedervereinigung dankte und sich sogar gegen das AfD-Kernthema Aufrüstung aussprach. Innerparteilich spaltet das Thema die AfD und vertieft Gräben zwischen Ost und West.
Chrupalla wirkt auf der Pressekonferenz dünnhäutig. Er lässt sich zu Bemerkungen unterhalb der Gürtellinie hinreißen, bezeichnet seine parteiinternen Gegner sinngemäß als „Zeltpinkler“ – es seien immer dieselben, die ihn kritisierten. Das sei wie früher beim Camping mit der Jungen Union, sagt Chrupalla. Dort hätten sich stets diejenigen über ein nasses Zelt beschwert, die vorher selbst hineingepinkelt hätten. Meuthen habe ihn im Bundesvorstand jahrelang gequält, dies seien nun seine letzten Verbündeten, die mal wieder aufmuckten.
Wie Tino Chrupalla wieder Oberwasser bekommt
Zu allem Überfluss hat auch noch der Thüringer Landeschef und Rechtsextremist Björn Höcke wieder einmal mit seiner Kandidatur für den anstehenden Bundesparteitag geliebäugelt. Chrupalla kündigt entnervt eine strömungsübergreifende Liste für den Bundesvorstand an und positioniert sich gegen eine mögliche Spitzenkandidatur Höckes. Chrupalla sagt: „Wenn Höcke als Parteichef antreten will, muss er gegen Tino Chrupalla antreten.“
Joana Cotar fühlt sich durch den Ausbruch Chrupallas am Abend beim Italiener bestätigt. Sie greift die Zeltpinkler-Aussage auf: „Wir sind eine Oppositionspartei im Deutschen Bundestag – und nicht auf der Baustelle.“ Mehrfach und womöglich auch unter dem Einfluss vom Weißwein fallen Anspielungen auf Zelten und Urinieren.
Die Kampagne der ehemaligen Meuthen-Freunde sollte Chrupallas bundespolitische Karriere beenden. Nur lief der Angriff am Ende doch nicht so erfolgreich wie gedacht. Cotar äußert sich in der Woche vor dem Bundesparteitag auf taz-Anfrage gar nicht mehr. Gesundheitliche Gründe, heißt es. Ob sie selbst beim Parteitag erneut für den Bundesvorstand antritt: ungewiss.
Auf die Ausgelassenheit beim Italiener über den Wirkungstreffer in der Bundespressekonferenz folgte für die Chrupalla-Gegner der Kater: Bereits tags darauf nimmt Fraktions-Co-Chefin Alice Weidel ihren Bundeschef vor laufenden Kameras in Schutz. Auch bei vielen einfachen AfD-Mitgliedern kommt die offene Revolte nicht gut an. Einige sprechen intern vom Team Zeltpinkler. Hinzu kommt: Diejenigen, die angeblich die Palastrevolution unterstützen wollten, trauen sich nun doch nicht. Anonym kritisieren viele lang und gerne den Parteivorsitzenden, aber namentlich wollen sie Chrupalla nicht angreifen.
Auch der wenig später vom vorgeblich gemäßigten Lager präsentierte Gegenkandidat Norbert Kleinwächter ändert daran nichts, zumal der Vize-Fraktionsvorsitzende eher unbekannt ist. Der 36-jährige Lehrer kann zwar eloquent und bildungsbürgerlich daherreden, verfügt aber nicht gerade über ein mitreißendes Auftreten, geschweige denn Charisma.
Gleich zwei schwache Kandidaten
Zudem fehlt dem in Bayreuth aufgewachsenen Kleinwächter die Unterstützung seines eigenen Landesverbands Brandenburg, wo er schon einmal krachend bei einer Wahl zum Landeschef scheiterte. Kleinwächter ist nicht einmal in Brandenburgs Parteitagsdelegation gewählt worden. Er darf also nur nach Riesa reisen, weil er für den Vorstand kandidiert. Am Ende benennt Kleinwächter kein Team für den Bundesvorstand, das ihn unterstützt.
Ein weiterer Spitzenkandidat, der sich selbst zum gemäßigten Lager zählt, traute sich erst vor rund einer Woche aus der Deckung. Der ehemalige Bild-Redakteur Nicolaus Fest ist Vorsitzender der AfD-Delegation im Europaparlament und hat als bekanntere Führungspersönlichkeit zwar bessere Chancen auf einen Führungsjob, tritt aber gar nicht gegen Chrupalla an. Er bewirbt sich nur für den zweiten Sprecherposten. Auch Fest stand zuletzt in der öffentlichen Kritik, nachdem er über den verstorbenen EU-Präsidenten David Sassoli in einem internen Chat geschrieben hatte: „Endlich ist das Drecksschwein weg.“
In seinem Bewerbungsvideo mahnt Fest Geschlossenheit und einen ausgeglichenen Bundesvorstand an. Persönliche Kritik an Chrupalla vermeidet er. Immerhin präsentiert Fest kurz vor dem Parteitag eine Art von Team. Allerdings finden sich dort neben Beatrix von Storch auch einige Personen, mit denen Fest im Vorfeld nicht einmal gesprochen hat, wie es aus Reihen der Betreffenden heißt. Fest bestätigte der taz dann auch, dass sein vorgeschlagenes Personaltableau lediglich seine Wunschkandidaten sind und dass er nicht mit allen Genannten gesprochen habe. Einige seiner Mitstreiter wollten zudem gar nicht antreten.
Kurz vor dem Parteitag wird nun auch seine Mitstreiterin von Storch öffentlich angezählt – die gesamte Berliner Delegation darf nach einem Beschluss des Bundesschiedsgerichts nicht am Parteitag teilnehmen, weil das Parteigericht es als erwiesen ansieht, dass von Storch an einer Wahlmanipulation bei der Aufstellungsversammlung mitgewirkt hat. Als Kandidaten dürfen Fest und von Storch allerdings anreisen – allerdings wie Kleinwächter ohne Stimmrecht.
Wie Chrupalla wieder zum Favouriten wurde
Chrupalla war demgegenüber in den vergangenen Wochen umtriebig: Er und seine Verbündeten haben herumtelefoniert, nicht nur im Osten, wo Chrupalla ohnehin von den völkisch dominierten Landesverbänden unterstützt wird, sondern auch im Westen. Chrupalla findet genug Unterstützer, um eine formal proporzmäßig ausgeglichene Liste zu präsentieren, oder wie er es nennt: das „TeamZukunft“.
Entsprechend sieht die Stimmung bei Chrupalla kurz vor dem Parteitag deutlich anders aus: Er demonstriert Gelassenheit, lehnt sich in seinem Bundestags-Eckbüro mit Glasfront zurück. An der Wand hinter ihm hängt ein gerahmtes Plakat des Grundgesetzes mit Trauerflor von einer halbmutigen Protestaktion im Bundestagsplenum gegen Coronamaßnahmen. Daneben eine Kuckucksuhr.
Chrupalla sagt, dass seine Liste mit Vorschlägen für den neuen Bundesvorstand nun mit Mariana Harder-Kühnel komplett sei. „Ich freue mich auf den Parteitag, dass wir endlich eine Entscheidung bekommen“, sagt er. „Frau Harder-Kühnel ist eine starke und fleißige Bundestagsabgeordnete aus Hessen.“ Mit ihr im Bundesvorstand können wir die Partei in ihrer regionalen Breite deutlich abbilden, so Chrupalla. Er habe mit allen vorgeschlagenen Kandidaten für den Bundesvorstand gesprochen und freue sich, dass der Landesverband Sachsen hinter ihm stehe.
Es ist der Versuch einer strömungsübergreifenden Liste, die Chrupalla da präsentert. Sie soll neben den Landesverbänden vor allem ihm gewogene Leute abbilden. Mit Geschlechterparität hat es der AfD-Chef hingegen eher nicht so: Neben Harder-Kühnel finden sich nur nur zwei Frauen in seinem 14-köpfigen Team. Chrupalla setzt vor allem auf Geschlossenheit durch Disziplinierung: Ein von ihm unterstützter Antrag sieht Sanktionen vor, wenn Bundesvorstandsmitglieder ausscheren, ebenso würde Chrupalla gern auf die konfliktreiche Doppelspitze verzichten.
Wenn sich die Liste Chrupalla in Riesa durchsetzten sollte, werden im mächtigsten Organ der Partei am Ende mehrheitlich Personen sitzen, die aus der völkischen Strömung kommen, von ihr unterstützt wurden oder zumindest kooperationsbereit sind. Alice Weidel aus Baden-Württemberg ist Chrupallas designierte Co-Sprecherin, wenn es doch wieder zu einer Doppelspitze kommt. Chrupallas enger Vertrauter Stephan Brandner aus Thüringen soll wieder Stellvertreter werden.
Aber das Wichtigste für Chrupalla ist: Die Reste des Meuthen-Lagers sollen abgewählt werden oder zumindest ihre ohnehin brüchig gewordene Mehrheit verlieren. Der Partei steht damit ein erneuter Rechtsruck bevor – auch wenn einige Kampfabstimmungen zwischen den Lagern eng werden dürften und bei den 600 Delegierten der AfD vieles von der Parteitagsdynamik abhängen dürfte.
Und dann ist da ja noch Björn Höcke
Nicht weniger interessant dürfte auch der Blick auf den Rechtsextremisten Björn Höcke werden. Der hatte vor wenigen Wochen unter Beifall seines stramm völkischen Landesverbandes damit geliebäugelt, im Bundesvorstand mehr Einfluss auszuüben – nicht zum ersten Mal. Fast alle in der Partei gehen allerdings davon aus, dass Höcke kneift und nicht für den Bundesvorstand, geschweige denn den Vorsitz kandidiert. Eine Niederlage würde ihn jedenfalls schwer beschädigen, da ist sich selbst sein Umfeld einig. Zumal er vermutlich auch keine Mehrheit bekäme, weil die meisten in der Partei wissen, dass seine Wahl neben einem PR-Desaster ein innerparteiliches Beben nach sich ziehen würde.
Das Antragsbuch könnte Aufschluss über Höckes künftige Rolle geben: Er hat zusammen mit Chrupalla und dem Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland sowie Stephan Brandner eine Kommission für eine Parteistrukturreform beantragt. Der Leiter dieser Kommission soll ein Team aus zehn erfahrenen Personen zusammenstellen und gut alimentiert werden.
Reformziele sollten sein: bessere Einbindung der Basis, Disziplinierung des Bundesvorstands und Kaderbildung. Sollte Höcke Leiter einer solchen Strukturkommission werden, dürfte er damit seinen bundespolitischen Einfluss deutlich ausweiten.
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