kritisch gesehen
: Erfolgsmodell aus Wolfsburg

Seit 2006 vergibt der Kunstverein Wolfsburg alle zwei Jahre seinen Kunstpreis „arti“. Die Auslobung versteht sich als eine Förderung der lokalen Szene, so Kunstvereins-Direktor Justin Hoffmann, die Be­wer­be­r:in­nen, Professionelle ebenso wie Amateure, müssen Lebensmittelpunkt und Wohnsitz in Wolfsburg nachweisen.

Eine neuerlich internationale Jury hat aus den Einreichungen zur neunten Ausgabe nun sieben Beiträge für eine Ausstellung nominiert und daraus drei Preis­trä­ge­r:in­nen gekürt, die neben einer kleinen finanziellen Anerkennung in einem Festakt eine Gold-, Silber- und Bronzemedaille überreicht bekommen. Viel wichtiger aber: Für manch ei­ne:n war die Auszeichnung finaler Anreiz, Kunst zu studieren. Morgaine Schäfer etwa hatte erstmals als Abiturientin teilgenommen und ist nach ihrem Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie eine anerkannte Fotokünstlerin.

Der „arti“ ist nicht nur ein Erfolgsmodell, er hat auch eine treue Fangemeinde. Einige der Nominierten sind schon mehrfach dabei gewesen. Thema war diesmal „sichtbar machen“, angelehnt an das Jahresprogramm des Wolfsburger Kunstvereins: „Endlich relevant!“ Die theoretische Grundlage liefert Paul Klee. Der forderte 1920 in seinem Aufsatz „Schöpferische Konfession“, dass Kunst nicht das Sichtbare wiedergeben, sondern sichtbar machen solle. Was also meinen die Teilnehmer:innen, sichtbar machen zu müssen – und wie?

Zu den Wie­der­ho­lungs­tä­te­r:in­nen gehört Rosi Marx, 2018 Gewinnerin des „arti“. Sie lässt die erste Coronaphase Revue passieren: Aufgrund des ständigen Händewaschens sei ihre Haut in arge Mitleidenschaft gezogen worden. Ihr bildhaftes Objekt: eine handelsübliche Seife, die sie in einem komplizierten Prozess mit einer festen Korrosionsschicht aus Roststaub versehen hat – der Kernseifenduft blieb als olfaktorische Konstante allerdings erhalten.

Der jüngste Künstler ist fünf

Um Haut und Haar geht es auch bei Anita Marijana Bajic. Sie hat seit 2018 am „arti“ teilgenommen und studiert seitdem Fotografie an der HbK Braunschweig. Mit einem recht grob auflösenden Endoskop inspizierte sie Körperpartien eines Mannes und einer Frau, Fehler der Kamera und auch falsche Interpretationen sind willkommen.

Schon zum vierten Mal ist Jörg Hennings unter den Nominierten. Diesmal steuert er als erstes „arti“-Stadt-Museum eine mehrteilige Arbeit aus Fotografie, Zeichnung und Frottage zu den unbemerkten städtischen Qualitäten Venedigs bei.

Und Inka Topp war als Rieke während dreier Probemonate in einer Online-Partnerbörse unterwegs. Ihre 732 weltweiten, männlichen Eroberungen nebst eindeutigen Angeboten collagierte sie zu einem Druck auf Baumwollstoff – vielleicht ja als eigenwilliges Heimtextil einsetzbar?

Seit 2010 lobt der Kunstverein zudem den „arteen“ für Jugendliche bis 17 Jahren aus, Thema: „un_real“. Hier gab es deutlich weniger Einreichungen als sonst, fehlender Präsenzunterricht im Fach Kunst schlug wohl zu. Der jüngste, ein Fünfjähriger, steuerte ein Rot-Grün-Leporello bei, ein anderer ein Conchita-Wurst-artiges Doppelporträt-Relief. So viel zu dessen Bandbreite. Und insgesamt zur unermüdlichen Kreativität in der Autostadt.Bettina Maria Brosowsky

„‚arti‘ – sichtbar machen“: bis 14. 8., Kunstverein Wolfsburg; „‚arteen‘: un_real“, im Raum für Freunde