berliner szenen: Das neue Leben des Paars
Alles musste heimlich passieren. Man traf sich in Aufzügen, man traf sich neben den Mülltonnen im Hinterhof bei den Standaschenbechern. Man rauchte und beredete die neuesten Entwicklungen, tauschte sich aus, beratschlagte, feilte an Ideen. Man traf sich in Stehimbissen oder beim Koreaner, um unauffällig zu bleiben. Oder man saß sich in gediegenen Restaurants gegenüber, in Lichtfülle, herausgeputzt, selbstbewusst, offen. Im Spotlight, um den umgekehrten Effekt zu wagen. Und doch wie in einem Tunnel, man sah nicht nach links und nicht nach rechts, man merkte nicht, dass man beobachtet wurde. Jedenfalls nicht sie. Und zwar von mir.
Ich saß gut versteckt in der rechten Ecke des Ladens und stellte während eines einfachen Menüs Überlegungen an. Es war Jahre her, dass ich näher mit einer von ihnen zu tun hatte. Aber ich kannte auch ihn. Niemand konnte behaupten, besonders glücklich geworden zu sein. Es hatte andere Frauen gegeben, es gab andere Männer, sie schenkten sich nichts. Das war die Wahrheit. Oder auch nicht. Jetzt hatten sie dieses Restaurant aufgesucht, um vielleicht ein klärendes Gespräch zu führen. Jetzt, wo die Schwangerschaft nicht mehr aufzuhalten, sondern beschlossene Sache war. Sie waren verheiratet. Miteinander. Die Zukunft sollte festgezurrt, der Kreis geschlossen, Einbrüche von außen unterbunden werden.
Die Vorarbeit war geleistet; sie hatten es verstanden, sich von überflüssigen Freunden und heruntergekommenen Verwandten zu befreien, man sah es ihnen an. Sie sahen versöhnt aus. Versöhnt mit dem Leben, ignorierten sie die Gespenster, die das Szenerestaurant um sie herum bevölkerten, die nach dem Dinner am Tresen lehnten, um einen Drink zu bestellen, einen Negroni oder einen Tolstoi Tang. Getrieben von Wehmut, getrieben von Coolness. René Hamann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen