EU bündelt Ukraine-Ermittlungen

Eurojust zentralisiert Daten zu Kriegsverbrechen in der Ukraine. Erneut russische Soldaten verurteilt

Von Christian Rath

„Noch nie hat die Rechtsgemeinschaft so schnell und so entschlossen auf einen bewaffneten Konflikt reagiert wie jetzt in der Ukraine.“ Das sagte Ladislav Hamran, der slowakische Präsident der EU-Justizbehörde Eurojust, am Mittwoch in Den Haag. Dem Joint Investigation Team (JIT) von Eurojust gehören nun sechs Staaten und der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) an.

Das JIT wurde im März von Litauen, Polen und der Ukraine gegründet. Im April schloss sich IStGH-Chefankläger Karim Khan an. Jetzt folgten Estland, Lettland und die Slowakei. In einem JIT haben alle Ermittler Zugang zu allen Zeugenaussagen, Beweismitteln und Expertenberichten. „Der Ukrainekonflikt ist der bestdokumentierte bewaffnete Konflikt aller Zeiten“, so Hamran. Am 1. Juni tritt eine Änderung der Eurojust-Verordnung in Kraft, die die zentrale Speicherung und Analyse der Ukrainedaten bei Eurojust erlaubt, ebenso die Weitergabe an den Internationalen Strafgerichtshof.

Ukraines Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa betonte, dass 95 Prozent der Arbeit von ukrainischen Ermittlern gemacht werde. „Aber wir haben Erfahrung mit Kriegsverbrechen. Die russische Aggression hat bereits 2014 begonnen“, sagte sie. Derzeit würden in der Ukraine rund 15.000 Fälle untersucht, jeden Tag kämen 200 bis 300 hinzu. Ihr zufolge hat die Ukraine mehr als 600 mutmaßliche russische Kriegsverbrecher identifiziert. Insgesamt gebe es bisher 80 Verdächtige, fünf wurden verurteilt.

Schwere Kämpfe dauern an

Am Dienstag verurteilte ein Gericht im ukrainischen Gebiet Poltawa zwei russische Soldaten zu jeweils elfeinhalb Jahren Haft, berichtet das Online-Portal Ukrajinska Prawda. Die beiden Soldaten aus Murmansk hatten demnach gestanden, in der Region Charkiw zivile Gebäude beschossen zu haben.

Beide sagten aus, zunächst zu einem Manöver ins russische Gebiet Kursk abkommandiert worden zu sein. Dann seien sie ins russische Gebiet Belgorod verlegt worden und hätten sich plötzlich im Krieg wiedergefunden. Gemeinsam mit anderen hätten sie Stromanlagen, Wohnhäuser und Schulen beschossen. Sie versteckten sich drei Tage lang und begaben sich schließlich in Gefangenschaft. Die Verteidigung betonte, dass die Männer auf Befehl gehandelt hätten. Das Gericht war der Ansicht, dass sie verbrecherische Befehle nicht hätten ausführen müssen.

Die schweren Kämpfe um die Stadt Sjewerodonezk im Donbass dauerten am Dienstag an. Russische Truppen kontrollierten nun etwa die Hälfte der Stadt, teilte die Stadtverwaltung mit. „Wir befürchten, dass bis zu 12.000 Zivilisten in der Stadt im Kreuzfeuer gefangen sind, ohne ausreichenden Zugang zu Wasser, Lebensmitteln, Medikamenten oder Strom“, warnte das Hilfswerk Norwegian Refugee Council.

US-Präsident Joe Biden hat derweil die Lieferung von Mehrfachraketenwerfern an die Ukraine ausgeschlossen. „Wir werden der Ukraine keine Raketensysteme liefern, die in Russland angreifen können“, sagte Biden am Montag in Washington. Zuletzt war berichtet worden, die US-Regierung werde diese Woche eine Lieferung von Artilleriesystemen der Typs MLRS und Himars, die Geschosse über bis zu 300 Kilometer abfeuern, an die Ukraine beschließen. Die USA fürchten aber russische Vergeltungsschläge.

Der republikanische Senator Lindsey Graham nannte Bidens Rückzieher einen „Verrat an der Ukraine“. Biden lasse sich „von russischer Rhetorik einschüchtern.“ (rtr, dpa, ap)