Belagerung im Jemen-Krieg: Die Straße nach Taiz
Eigentlich braucht der Krebspatient Mohammad Yahya nur 15 Minuten bis zum Arzt. Durch eine Straßensperre der Huthi-Rebellen sind es 8 Stunden.
Im Jahr 2015 eroberten Jemens Regierungstruppen Taiz von den Huthi-Rebellen zurück. Die Huthis kontrollieren Jemens Hauptstadt Sanaa und werden vom Iran unterstützt, Jemens international anerkannte Regierung residiert in Aden im Süden des Landes und wird von Saudi-Arabien unterstützt; seit sieben Jahren kämpfen sie gegeneinander.
Seit das Militär die Huthis aus Taiz vertrieb, wird die Stadt von den Rebellen belagert. Alle Straßen zwischen Taiz und den umliegenden Bezirken sind seither geschlossen, die geschätzt 370.000 Einwohner von der Außenwelt abgeschnitten.
Die Reisen nach Taiz kosten Yahya monatlich etwa 30.000 jemenitische Rial – umgerechnet etwa 42 Euro. Das ist die Hälfte eines durchschnittlichen Monatsgehalts in Jemen. Denn für den Weg aus Al-Hawban benötigt er ein Fahrzeug mit Allrad-Antrieb.
Immer wieder sterben Menschen auf dem Weg
Dass es überhaupt einen Weg nach Taiz gibt, liegt an der jemenitischen Zivilgesellschaft: Bürger haben eine alternative Straße geschaffen. Sie ist eng und holprig, steil und gefährlich, windet sich durch das Gebirge um die Stadt, immer wieder passieren schwere Unfälle.
Und immer wieder sterben Menschen auf dem Weg, weil sie es nicht rechtzeitig zu medizinischer Hilfe schaffen, berichtet Mukhtar Al-Mikhlafi, Generaldirektor der Cancer Control Foundation in Taiz: „Bei den meisten, die zur Behandlung nach Taiz müssen, verschlechtert sich der Gesundheitszustand, bis sie die Stadt erreichen. Durch die Belagerung und die schwierigen Reisebedingungen, aber auch weil sie die hohen Fahrtkosten nicht aufbringen können.“
Am 2. April kündigte der UN-Sondergesandte für Jemen, Hans Grondberg, eine zweimonatige Waffenruhe für das Land an. Sie sollte auch die Freilassung aller Gefangenen auf Seiten Saudi-Arabiens und der Huthis, die Wiedereröffnung des internationalen Flughafens von Sanaa – den die Huthis kontrollieren – und des ebenfalls von den Huthis kontrollierten und von der Anti-Huthi-Koalition blockierten Hafens Hodeidah am Roten Meer beinhalten. Und die Öffnung der Landstraßen, insbesondere der Hauptstraßen, zwischen der Stadt Taiz und ihrem Umland.
Die Ankündigung des Waffenstillstands wurde von den Jemeniten mit großem Optimismus aufgenommen und von der internationalen Gemeinschaft sehr begrüßt. Noch am selben Tag bat EU-Chefaußenpolitiker Josep Borrell alle Parteien, die Waffenruhe zu respektieren und die Gespräche fortzusetzen, um weitere dringende wirtschaftliche und humanitäre Maßnahmen ergreifen zu können.
Alle Versuche, Korridore einzurichten, scheitern
Mehr als einen Monat nach dem Beginn des Waffenstillstands ist allerdings klar: Die enthaltenen Bestimmungen wurden kaum eingehalten. Saudi-Arabien fliegt zwar keine Luftangriffe mehr, in Sanaa landete ein erstes kommerzielles Flugzeug, und am Hafen von Hodeidah dürfen endlich wieder sehnlichst erwartetet Treibstofftanker andocken.
Doch an den Kriegsfronten, die sich quer durch das Land ziehen, setzen sich die bewaffneten Auseinandersetzungen fort. Und die Straße, auf der Mohammed Yahya schneller zu seiner Behandlung käme, ist noch immer geschlossen.
Seit dem Beginn der Belagerung haben mehr als zwölf verschiedene soziale Initiativen versucht, Korridore für Patienten und humanitäre Fälle zu öffnen – oder diese ganz aufzuheben. Einige davon standen unter der Aufsicht und Betreuung der Vereinten Nationen – ihr Ziel erreicht haben sie letztlich nie.
Olfat Al-Dobai, Soziologieprofessor an der Universität von Taiz, glaubt, die Gründe für dieses Scheitern zu kennen: Die Huthis betrachteten die Belagerung nicht als humanitäre, sondern einfach als politische Angelegenheit. Und an ebendieser Sichtweise scheitere der Verhandlungs- und Friedensprozess immer wieder.
Auch Waren sind viel teurer als anderswo im Land
Al-Dobai meint, das grundsätzlich aufgeladene politische Klima in Jemen werde durch den iranisch-saudischen Regionalkonflikt genährt. „Taiz wird oft als Druckmittel von beiden Parteien genutzt“, betont er. Die Huthis beständen darauf, die Belagerung von Taiz nur zu beenden, wenn dafür der Flughafen von Sanaa wieder regulär geöffnet werde. Gleichzeitig nutze die Regierung, und damit auch Saudi-Arabien, die Verschlechterung der humanitären Lage durch die Blockade aus, um die Menschenrechtsverletzungen der Huthis anzuprangern anstatt eine Lösung zu finden. Alle Parteien seien mitschuldig, sagt er.
Der Menschenrechtsaktivist Mohammed Al-Wattiri teilt diese Einschätzung: Die Öffnungsinitiativen seien zwar von allen Konfliktteilnehmern während verschiedener Verhandlungen begrüßt worden. Doch sobald es um die Umsetzung gegangen sei, habe jede einzelne sich aus der Verantwortung gestohlen. Keiner habe die aufrichtige Absicht, die Straßen zu öffnen und die Belagerung aufzuheben. Aber, betont er: Auch wenn die Initiativen keinen Erfolg gehabt hätten, so sei doch die Weltaufmerksamkeit auf das Problem gelenkt worden. Denn nicht nur die Krankenversorgung ist ein Problem.
Jalal Saeed besitzt ein Transportunternehmen im Gouvernement Taiz. Durch die Blockade seien Transporte hier deutlich teurer als in anderen Gebieten, erklärt er. Die hohen Transportkosten wirkten sich auch auf die Warenpreise aus, die fast doppelt so hoch wie in anderen Bezirken des Landes sind.
„Wir sind mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert, wenn wir Waren und Lebensmittel in die Stadt bringen wollen“, berichtet er. Seine Fahrer müssten Abgaben an die Militärposten der verschiedenen Konfliktparteien an den Straßen entrichten, Transportfahrzeuge würden unter dem Vorwand der Inspektion tagelang festgehalten. Hinzu komme die Abgeschiedenheit und die Unwegsamkeit der schmalen Alternativstraßen, auf denen immer wieder Lastwagen umkippen.
Der Mangel an Waren, die Einschränkung der medizinischen Versorgung – Völkerrechtsexperte Yasser Al-Muliky meint: „Die über Taiz verhängte Belagerung stellt nach dem Verständnis des humanitären Völkerrechts eine Kollektivstrafe für die Bevölkerung dar.“ Sie verstoße daher gegen Artikel 33 der Vierten Genfer Konvention, der besagt: „Kollektivstrafen sind ebenso verboten wie alle Maßnahmen der Einschüchterung oder des Terrorismus.“ Sie ziele systematisch darauf ab, die Menschen auszuhungern, und treffe am Ende alle, ob zivil oder am Konflikt beteiligt.
Auch Osama al-Faqih, Sprecher der zivilen Menschenrechtsorganisation Mwatana, betrachtet die Blockade als kollektive Bestrafung seiner Mitbürger. Mwatana habe mehrfach dokumentiert, wie das Leid der Zivilbevölkerung unter der „willkürlichen Belagerung“ zugenommen habe.
So wie das von Mohammed Yahya, der bis zu deren Ende weiter acht Stunden durch die Berge nach Taiz zuckeln wird.
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