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Ausgehen und rumstehen von Eva MirasolIn einer Parallelwelt mit schnüffelnden Hasen

Foto: privat

Die Inszenierung „Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen“, René Polleschs Eröffnungsveranstaltung seiner Intendanz an der Volksbühne, läuft weiter als Wiederholung. Ich glaube, ich bin nie wirklich in der Postmoderne angekommen. Zwei Jahre Kunstpause und ein Baby haben es nicht besser gemacht, doch ich genieße es wie nie – das intellektuelle Abgehängtsein, das Angewiesensein auf die Interpretation anderer, zumindest, wenn man danach auch etwas Schlaues sagen will.

Zum Glück gibt es bereits die Kritiken der Auftaktinszenierung. Nichts ist konkret, es redet sich dahin unter einem Vorhang mit Eigenleben. Schön die Stimme von Kathrin Angerer, Martin Wuttke trägt ein Skelett auf dem Rücken, der Tod lauert sozusagen hinter und über ihm, er ist Tolstoi, die riesigen Fotografien zweier Zirkusmenschen umrahmen die Bühne, werden angehimmelt, sind Projektionsfläche für die Sehnsüchte von Kathrin Angerer, so wie überhaupt alles Projektionsfläche ist, das Spiel mit den Requisiten ist Teil der Metaebene, aber das verstehe ich erst hinterher, als mir meine Freundin alles erklärt.

Sie ist Cineastin und lebt in London. Ich bin Ärztin und lebe im Krankenhaus. Ein Hase taucht auf, als der Vorhang zwei Menschen verschluckt. Ich finde, er wirkt ein wenig verloren auf der riesigen Bühne, ich gestehe, ich hätte lieber mehrere Hasen gehabt oder gleich ein anderes Tier. Einen Fuchs vielleicht oder einen Igel, wie im Grimm’schen Tieruniversum, eher vormodern. Ein einzelner Hase ist mir zu wenig Drama, aber auch da zeigt sich wieder, dass ich gar nichts verstanden habe.

Die Postmoderne ist nicht Drama, wie auch, wo sie doch dauernd intertextualisieren muss und relativieren soll. Der Hase ist sehr dick und flauschig. Ich merke, wie ich unter meiner Maske beginne zu schnüffeln. Reflexartig, so wie mein Baby es immer macht, wenn es einen Hasen sieht. Wahrscheinlich bin ich jetzt da angekommen, wo ich immer dachte, dass ich niemals landen würde.

In der Parallelwelt von Eltern, die bei allem, was sie sehen, daran denken, was ihr Kind dazu sagen würde. Für diesen Text ist die Existenz meines Babys sicher vollkommen irrelevant. Ich poste dennoch schnell ein Bild von ihm auf Instagram: von oben und hinten, damit man es nicht direkt sieht, aber damit trotzdem deutlich wird, dass ich eines hab.

Immer wieder Arturo Ui

Auf der Bühne schnallt sich Martin Wuttke währenddessen zum wiederholten Male sein Skelett um. Ich würde ihn unglaublich gerne einmal kennenlernen. Ihn fragen, ob nur das Publikum immer wieder den „Arturo Ui“ mit ihm am Berliner Ensemble sehen will oder ob er sich selbst ebenfalls auf die Inszenierung freut. Hat er schon einmal Angst gehabt, nicht durchzuhalten?

Die ersten zwanzig Minuten als Ui verbringt er hyperventilierend auf allen Vieren. Ich weiß, ich sollte das nicht, aber ich muss mir das medizinisch vorstellen: Ich habe schon so oft Menschen in der Rettungsstelle gesehen, die so lange so schnell atmen, dass sich ihre Blutsalze verschieben und der Körper ins Alkalische driftet. Um den Mund herum kribbelt es, die Hände verkrampfen sich in Pfötchenstellung – ein reversibler Zustand, aber oft nur nach ärztlicher Hilfestellung.

Wie macht Martin Wuttke das? Ventiliert er nur seinen Totraum? Atmet er vorher ganz lange gar nicht? Vielleicht wartet hinter den Kulissen eine Thea­ter­ärz­t:in mit einer Tüte und 10 mg Diazepam. Der aufhaltsame Aufstieg eines Vorhangs und der Ui dazwischen. Ein wirklich schöner Abend.

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