Orte des Wissens
: In den Umzugsstress regiert

Die Forschungsstelle Küste ist von Norderney verlegt worden. Derzeit residiert sie in Norden – bis der Neubau in Norddeich fertig ist

„Der Klimawandel wirkt themenübergreifend auf viele Bereiche der dynamischen Küstenprozesse“

Von Harff-Peter Schönherr

Umziehen kann stressig sein, unerfreulich, zeitraubend. Die Forschungsstelle Küste (FSK) kann davon ein Lied singen. Nicht nur, dass sie im Frühjahr 2021 von Norderney aufs Festland gewechselt ist, ins niedersächsische Städtchen Norden, eher unfreiwillig. Ein Neubau entsteht, im noch weit winzigeren Norddeich, ein paar Fahrminuten nördlich Richtung Meer, und wenn der bezugsfertig ist, rollen erneut die Umzugs-Laster an. Eine durch Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) aufgedrückte Odyssee: Das Dienstgebäude auf Norderney, prominent direkt neben der Inselmühle, hatte das Land verkommen lassen, bis die Landesunfallkasse Sanierungen einforderte. Selbst nur provisorisch ausgeführt wären diese „weder ihres Inhalts nach noch hinsichtlich der mit ihnen verbundenen Kosten marginal“, zitierte die Norderneyer Zeitung 2020 den Lies-Sprecher. Sprich: Eine Sanierung wäre unwirtschaftlich, hieß es. Daher dann der Neubau.

Die FSK, rund 30 Mitarbeiter stark, interdisziplinär vom Umweltingenieur bis zum Geowissenschaftler, untersteht dem Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Sie befasst sich mit Küstenrelief-Vermessung und Sturmflutwarnung, mit Küsteningenieursarbeiten und den Ursachen morphologischer Veränderungen der Fest­landsküste, der ostfriesischen Inseln und der Süß- zu Salzwasser-Übergangszonen von Elbe, Weser und Ems, also den gesamten Tidebereich Niedersachsens.

Es geht hier um Seegang und Strömung, um Gewässerqualität und Sedimentdynamik, um Kartierung und Beprobung. Oft stehen FSK-Mitarbeiter im Hörsaal, als Lehrbeauftragte. Oft sieht man sie vor Gericht, als Sachverständige. Man sei eine „fachlich unabhängige Institution“, so die Selbstdarstellung.

Andreas Wurpts, ein promovierter Bauingenieur, leitet die FSK mittlerweile seit etwas über zehn Jahren. Er hat einen schönen Job. Nicht nur, dass er sich jeden Tag mit dem Meer beschäftigt, das die meisten höchstens im Urlaub sehen.

Er ist auch auf ihm unterwegs: Um Messdaten zu erfassen, kommen auch Forschungsschiffe zum Einsatz. „Die Be­glei­tung solcher Einsätze“, sagt Wurpts, „ist eine seltene, aber hochwillkommene Abwechslung vom normalen Arbeitsalltag.“

Die FSK gibt es seit 1937. Die Erderwärmung war damals noch kein Thema. Heute ist das anders. „Der Klimawandel wirkt themenübergreifend auf viele Bereiche der dynamischen Küstenprozesse“, sagt Wurpts. „Entsprechend aufmerksam“ werde er verfolgt. Die FSK analysiere seine Auswirkungen, zudem modelliere sie mögliche Anpassungen an sie.

Auffällig oft haben FSK-Projekte geradezu humoristische Akronyme: „Aladyn“ etwa hat nichts mit 1001 Nacht zu tun, sondern mit Gezeitendynamik. Bei MOSES geht es nicht um einen desorientierten Propheten, der für die 400 Kilometer von Ägypten bis Kanaan volle 40 Jahre verbraucht, sondern um Modellierungen des Seegangsklimas im deutschen Nordseeküstengebiet. Und bei „DünEros“ geht es nicht um einen Beach-Porno, sondern um die Erosion bei Sturmfluten.

Auch Unaussprechliches wie „OptempS-MohoWif“, das fast klingt wie Konkrete Poesie, ist dabei. Gemeint ist die „Optimierung empirischer Sturmflutvorhersagen und Modellierung hochauflösender Windfelder“. „Da kommen manchmal Vorschläge heraus, die ein Augenzwinkern hervorrufen“, bestätigt Wurpts, und das sei „wohl durchaus so intendiert“. Wissenschaft kann Späßchen machen.