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Preise für Schwarze KünstlerinnenHegemonien entflechten

Von der „Betroffenenkunst“ zur Auseinandersetzung mit Diversität: Warum Sonia Boyce und Simone Leigh in Venedig ausgezeichnet wurden.

Installation „Brick House“ der Künstlerin Simone Leigh Foto: Antonio Calanni/ap

„MeToo“ und die „Black Lives Matter“-Bewegung hätten die zeitgenössische Kunst weltweit verändert, schrieb Anfang dieses Jahres die Kritikerin der New York Times, Farah Naye­ri. Zwei politische Bewegungen, die sich vor allem über die sozialen ­Netzwerke verbreiteten und während der Coronapandemie im Digitalen ausgetragen wurden.

Bis nun letzte Woche in Venedig erstmals seit drei Jahren wieder eine Schau eröffnete, die zeitgenössische Kunst vom ganzen Globus in der Lagunenstadt physisch versammelte. Und auch wenn die Beiträge in 58 Länderpavillons schwerlich auf diese zwei Hashtags „MeToo“ und „Black Lives Matter“ runterzubrechen sind, so scheinen beide politisch-medialen Bewegungen doch wie zwei ­Diskurswolken über den versammelten Ausstellungen zu schweben.

Farah Nayeris Beobachtung scheint also zu greifen­. In vielen Beiträgen geht es um das Entflechten von ­Hegemonien, Rassismen – und um alternative, kollaborativere Formen des Zusammenlebens.

Und so gingen schließlich am letzten Samstag auch die Goldenen Löwen an zwei Schwarze Frauen, an Sonia Boyce für ihre Bespielung des britischen Pavillons und an die US-Amerikanerin Simone Leigh für ihre Monumentalfigur „Brick House“. Beide Künstlerinnen machen ihre schwarze und weibliche Identität zum Ausgangspunkt ihrer Arbeiten.

Simone Leigh verknüpft afrikanische Mythen, die Geschichte der Sklaverei in den USA und teils traditionelles afrikanisches Handwerk in der Darstellung ihrer künstlerischen Figuren, die schon qua ihrer monumentalen Größe Aufmerksamkeit einfordern.

Präsenz schwarzer Weiblichkeit

Installation der Künstlerin Sonia Boyce mit dem Titel „Feeling Her Way“ Foto: Antonio Calanni/ap/dpa

Sonia Boyce sucht in ihren ­Installationen nach der Präsenz ­einer schwarzen Weiblichkeit in der britischen Gegen­wartsgesellschaft. Und findet sie zumindest in der Popkultur. Im britischen Pavillon lässt sie vier Sängerinnen – People of Colour – in einem Londoner Tonstudio miteinander improvisieren, die im spontanen Singen und Zuhören ein sonisches Kollektiv bilden. Die Gewin­nerinnen der Goldenen Löwen sind zwei Künstlerinnen, deren ästhetische Formulierungen von ihrer Identität als Schwarze Frauen kaum zu trennen sind.

Von „Betroffenenkunst“ schrieb Kunstkritiker Hanno Rauterberg einmal in der Zeit, als 2017 plötzlich bei der Documenta 14 vielfach Exponate auftauchten, in deren Zentrum die Identität ihrer Ur­he­be­r:in­nen stand. Identität als Legitimation für die Kunst, so konnte man das damals verstehen.

Unbekannt war bis dahin etwa die Künstlerin Máret Ánne Sara. Eine Vetreterin des indigenen Volk der Samen in Fennoskandinavien. Ihre düster-großen Installationen mit Rentierschädeln füllten 2017 die Documenta-Säle. Das Verständnis von einer Kunst, die sich auf Abstand hält und darin ihr ethisches und politisches Potenzial entwickelt, schien hier nicht mehr gegeben zu sein. Vielmehr ging es um die nahe, engagierte Erzählung der Vertreterin einer Minderheit.

Ungleichheit und Ausschluss

Auch jetzt ist auf der Venedig-Biennale Kunst von Samen zu ­sehen. Die Nordischen ­Pavillons haben sich gar zu einem Samí-Pavilion zusammengetan.

Überreste von nordischem Wild sind hier als fragiles Mobile aufgespannt. Doch der Blick auf diese Kunst hat sich verändert, nicht zuletzt durch Bewegungen wie MeToo und Black Lives Matter. Die geradezu distanzlose Ansprache dieser Kunst schafft mitunter eine direkte Auseinandersetzung mit Personen und Kulturen, die Teil diverser Gesellschaften und Traditionen sind.

Sonia Boyce ist die erste Schwarze Künstlerin, die bislang überhaupt den britischen Pavillon bespielt hat, Gleiches gilt für Simone Leigh im US-Pavillon. Gerade der Kunstbetrieb ist mitunter sehr von Ungleichheit und Ausschluss geprägt. Die Ehrung mit dem Goldenen Löwen für dezidiert schwarze feministische Positionen schafft jetzt die längst nötige Sichtbarkeit auf der großen internationalen Bühne.

Man könnte auch wie der auf Martinique geborene Philosoph Édouard Glissant in seiner „­Poétique de la Relation“ sagen: „Was meine Identität betrifft, um die kümmere ich mich selbst. Das heißt, ich werde es nicht zulassen, dass sie auf irgendeine Essenz reduziert wird. Zugleich werde ich aufpassen, dass sie mir nicht als Beimengung zu irgendeinem Amalgam abhandenkommt.“

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