Eintracht Frankfurts Jungprofi Knauff: Der Unberechenbare
Wie viel kann Vertrauen bei Talenten bewirken? Der kometenhafte Aufstieg des erst 20-jährigen Ansgar Knauff bei Frankfurt liefert eine Antwort.
Mitunter fällt es selbst dem harten Kern in der Anhängerschaft von Eintracht Frankfurt nicht so ganz leicht, die Traumreise ihres Herzensvereins in die passenden Worte zu kleiden. Dass der hessische Bundesligist in der Europa League eine wundervolle Leistung nach der anderen hinlegt, ist das eine, dass die organisierte Fanszene nach zweijähriger coronabedingter Abstinenz wieder in voller Stärke daran teilhaben kann, das andere. „Bei uns ging es natürlich direkt wieder von 0 auf 200! Das zweite Mal in drei Jahren Halbfinale im Europapokal. Einfach Wahnsinn!“ schreiben die Ultras Frankfurt vor dem Europa-League-Rückspiel gegen West Ham United (Donnerstag 21 Uhr/RTL).
Dass angesichts des 2:1-Hinspielsieges im London Stadium eine reelle Chance auf den Endspieleinzug besteht, hat auch mit einem jungen Mann zu tun, der ganz ähnlich von 0 auf 200 durchgestartet ist: Ansgar Knauff, 20, erst Torschütze im Viertelfinale gegen den FC Barcelona, nun auch im Halbfinale bei den „Hammers“. Irgendwie schien niemand am vergangenen Donnerstag den Rechtsaußen auf der Rechnung zu haben, als dieser nach nicht einmal einer Minute das Führungstor köpfte. „Der Ball von Rafael (Borré, Anm. d. Red.) war super in Richtung Tor gedreht, da musste ich nur noch den Kopf hinhalten“, sagte Knauff hinterher erstaunlich nüchtern. Denn auch er weiß ja: „Es fehlt noch ein Schritt bis zum Finale.“
Knauff muss sich manchmal kneifen, um seine märchenhafte Geschichte zu begreifen. Mitte Januar hat er noch für Borussia Dortmund gegen Waldhof Mannheim gespielt. Zweite Mannschaft, dritte Liga. Mitte Mai kann er vielleicht als Leistungsträger von Eintracht Frankfurt ein Europapokalendspiel in Sevilla bestreiten.
Wie so etwas möglich ist? Mit der Fantasie eines Managers, dem Vertrauen eines Trainers und den Anlagen eines Jungprofis, der es in Dortmund bei der hochkarätigen Konkurrenz im Offensivbereich schwer hatte. Was Eintracht-Sportvorstand Markus Krösche natürlich wusste, als er sich mit dem BVB über ein anderthalbjähriges Leihgeschäft – ohne Kaufoption – für den in Göttingen geborenen und in der Jugend zunächst bei Hannover 96 ausgebildeten Offensivspieler verständigte: „Ansgar ist in der Lage, uns auf den Außenbahnen sofort zu helfen.“
Mit Tempo und Technik
Frankfurts Trainer Oliver Glasner stellte seine Leihgabe erstmals Ende Februar gegen den FC Bayern in die Startelf – seitdem hat Knauff einen Stammplatz. Als Schienenspieler, der im Vorwärtsgang zwar alle Freiheiten ausleben soll, aber den Rückwärtsgang nie vergessen darf. Am komplexen Anforderungsprofil im 3-4-2-1-System waren gestandene Kräfte wie Timothy Chandler, Danny da Costa, Erik Durm oder Almamy Touré allesamt gescheitert, sodass gefühlt drei von vier Frankfurter Angriffen über die linke Seite von Filip Kostić liefen.
Erst mit Knauffs kometenhaftem Aufstieg ist die Disbalance behoben – und die Eintracht weitaus weniger ausrechenbar. Jetzt gibt es rechts wie links einen unberechenbaren, nimmermüden Dampfmacher. Dem Shootingstar kommen sein Tempo, seine Technik, sein Spielwitz entgegen – und natürlich auch die Prise Unbekümmertheit. Wenn er einen Fehlpass spielt – was noch vergleichsweise oft vorkommt – geht der Kopf nicht gleich nach unten. Und es kommt auch kein Anraunzer vom Mitspieler oder Trainer. Der Junge soll einfach machen.
„Seit er hier ist, hat er einen ganz großen Schritt nach vorne unternommen und ist auf einem guten Weg“, sagt Glasner. Der Österreicher hat damit, mehr als ein netter Nebeneffekt, auch der deutschen U21-Nationalmannschaft geholfen. Dort sind sie nämlich richtig glücklich über die Entwicklung eines Hoffnungsträgers. „Ansgar hat gute Aktionen, kommt am Gegner vorbei, ist mit Toren und Torvorlagen beteiligt. Ich bin superfroh, dass er diesen Schritt gegangen ist“, lobte U21-Chefcoach Antonio di Salvo bereits vor Wochen.
Aus Sicht seines Assistenten Daniel Niedzkowski, der auch die Pro-Lizenz-Ausbildung leitet, gibt es leider zu wenige Bundesligatrainer, die jungen deutschen Spielern einfach mal vertrauen. Seine These: Die meisten Talente zahlen über einen längeren Zeitraum mit Leistung zurück, auch wenn vielleicht nicht jeder gleich wie Ansgar Knauff von 0 auf 200 durchstartet.
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