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Wolfsburg-Chef zur Champions League„Das ist ein bisschen verrückt“

Ralf Kellermann, Sportlicher Leiter des VfL Wolfsburg, über den FC Barcelona, die Chance aufs Triple und 91.000 Zuschauer im Stadion.

Wolfsburgs Tabea Waßmuth (links) im Zweikampf mit Manuela Zinsberger (Arsenal London) Foto: Memmler/Eibner/imago
Interview von Frank Hellmann

taz: Herr Kellermann, der VfL Wolfsburg tritt am heutigen Freitagabend im Champions-League-Halbfinale beim FC Barcelona an. Das Camp Nou ist ausverkauft. Wollen Sie Barcelona so erobern wie die Männer von Eintracht Frankfurt vor einer Woche?

Ralf Kellermann: Wir haben vergangenen Donnerstag alle mitgefiebert, weil es etwas Besonderes für den deutschen Fußball war. Es ist beeindruckend, was die Eintracht-Fans auf die Beine gestellt haben, aber man kann es nicht mit den Rahmenbedingungen im Frauenfußball in Wolfsburg vergleichen. Wir wollen aber ähnlich sportlich performen, denn die Rollenverteilung ist durchaus vergleichbar: Barcelona ist als Titelverteidiger und mit der Kaderbesetzung der Favorit, aber wir bringen genau wie die Männer von Eintracht Frankfurt jede Menge Optimismus, Selbstbewusstsein und Vorfreude mit.

91.553 Besucher kamen vor drei Wochen zum Spiel der Frauen von Barca gegen Real. Schüchtert so eine Kulisse Ihr Team ein?

Im Interview: Ralf Kellermann

Er trainierte ab 2008 das Frauenteam des VfL Wolfsburg und ist seit 2017 Sportlicher Leiter des zweifachen Champions-League-Siegers und sechsfachen Deutschen Fußballmeisters.

Ich hatte bei der Heim-WM 2011 das Gefühl, dass die deutsche Frauen-Nationalmannschaft nicht wirklich darauf vorbereitet war. Ich hatte hinterher von einigen Spielerinnen gehört, dass sie von der Euphorie, dem Medienrummel und den Massen völlig erschlagen waren. Ich mache mir aber jetzt gar keine Sorgen, dass irgendeine Spielerin nicht ihre Leistung abliefern wird. Es gibt nichts Schöneres, als vor solch einer Kulisse anzutreten. Uns helfen zudem die Erfahrungen, die wir zum Beispiel bei Juventus Turin gesammelt haben.

Warum ist das Rückspiel in Wolfsburg noch nicht ausverkauft?

Wir haben jetzt 15.000 Karten verkauft, die Erwartung liegt bei 17.000, 18.000 Zuschauern. Das ist klasse! Wir können uns damit auf jeden Fall auf die größte Zuschauerzahl in Wolfsburg für ein Frauenfußballspiel auf Vereinsebene freuen. Man muss die Zahl auch immer in einem prozentualen Verhältnis zur Einwohnerzahl sehen.

Es gibt nichts Schöneres, als vor solch einer Kulisse anzutreten.

Der VfL Wolfsburg hat zuletzt 6:0 in der Liga gegen den FC Bayern, 3:1 im DFB-Pokal oder 2:0 in der Champions League gegen den FC Arsenal gesiegt. Nicht schlecht.

So wie es jetzt läuft, war es nicht unbedingt zu erwarten. Ich bin sicher keiner, der tiefstapelt, aber ich habe vor der Saison nicht grundlos gesagt, dass wir Zeit benötigen, weil wir in den letzten Jahren wichtige Spielerinnen verloren und ein nahezu komplett neues Trainerteam geholt haben. Niemand konnte zum Beispiel von den Neuzugängen Lena Lattwein oder Tabea Waßmuth eine solche Entwicklung erwarten, Ewa Pajor und Alexandra Popp waren sehr lange verletzt.

Es gab sicher einige Schlüsselmomente in dieser Saison: das gewonnene Elfmeterschießen in der Champions League bei Girondins Bordeaux, der Sieg in der Nachspielzeit in der Bundesliga gegen Eintracht Frankfurt, der Auswärtssieg am Bayern-Campus in der Liga und das Weiterkommen in der Gruppenphase im letzten Spiel gegen den FC Chelsea.

In ihrem Büro hängt eine Collage vom Triple 2013. Lässt sich dieser Coup wiederholen?

Das Triple ist natürlich wieder möglich, aber das möchte ich gar nicht groß thematisieren. Wir werden aber keine Spielerin bremsen, sich zu einem möglichen Triple zu äußern. Vor drei Wochen war noch alles offen, wir hätten in den beiden Cup-Wettbewerben ausscheiden und in der Liga aussichtslos zurückliegen können. Dass wir jetzt so gut dastehen, ist schon ein bisschen verrückt.

Wäre ein solcher Triumph eingedenk der Entwicklung auf internationaler Ebene höher einzuschätzen als damals?

2013 war eine Sensation, weil wir mit einem international unbekannten Kader erstmals teilgenommen haben. Ich habe vor Jahren das Triple für einen Frauen-Bundesligisten aufgrund der Leistungsdichte und dem Spielplan ausgeschlossen – und zu dieser Meinung stehe ich eigentlich noch. Speziell im Frühjahr ist die Gefahr groß, aufgrund der Vielzahl an Topspielen zumindest in einem Wettbewerb Federn zu lassen.

Es ist verwunderlich, dass Manchester City in der Qualifikation gegen Real Madrid, Chelsea in der Gruppenphase und Arsenal im Viertelfinale gegen uns ausgeschieden sind, wenn man sich die Strahlkraft und die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Vereine anschaut. Wir merken gerade in den Gesprächen mit Neuzugängen und Spielerinnen bei Vertragsverlängerungen, wie wichtig für uns diese Erfolge sind. Wenn man im Konzert der finanzstarken internationalen Schwergewichte mitspielen möchte, müssen wir mindestens bis zum Viertelfinale dabei sein.

Es ist zu hören, dass die VfL Wolfsburg Fußball GmbH als 100-prozentige VW-Tochter mit deutlich weniger Geld auskommen muss, weil die Folgen des Ukrainekrieges auf den Konzern durchschlagen. Müssen Sie mit einem geringeren Budget planen?

Die Gespräche über das Budget für die Kaderplanung haben wir schon vor Monaten geführt. Stand heute gehe ich davon aus, dass wir so wie besprochen ins nächste Jahr gehen können. Wir werden außer Almuth Schult voraussichtlich keine Leistungsträgerin verlieren, und einige Neuzugänge haben hier schon Verträge unterschrieben.

Jule Brand aus Hoffenheim und Nationaltorhüterin Merle Frohms aus Frankfurt kommen. Wie schwierig waren solche Transfers?

Wenn Jule Brand schon bereit gewesen wäre fürs Ausland, würde sie nicht ab Sommer für den VfL Wolfsburg spielen. Ihr lagen Angebote auf dem Tisch, da wäre es um ein Vielfaches gegangen. Sie sieht aber, wie Lena Lattwein und Tabea Waßmuth, zwei ehemalige Hoffenheimerinnen, oder auch Lena Oberdorf sich hier auf hohem Niveau entwickelt haben. Merle Frohms war bereits als 15-Jährige am Elsterweg, sie möchte unbedingt Champions League spielen und ist sehr heimatverbunden. Nun wird der Platz im Tor durch Almuth Schults Weggang frei – uns haben auch hier verschiedene Faktoren in die Karten gespielt.

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