„Ich muss an den Krieg gegen mein Land denken“

Svetlana Lavochkina liest ausihrem Roman „Die rote Herzogin“

Foto: Pavel Gitin/wikimedia

Svetlana Lavochkina

1973 in Zaporoschje, Ukraine, geboren, kam mit ihrem Mann 1989 als „jüdischer Kontingentflüchtling“ nach Leipzig.

Interview Frauke Hamann

taz: Frau Lavochkina, welche Bedeutung hat der Fluss Dnepr für die Ukraine?

Svetlana Lavochkina: Auf mich hat er immer mächtig wie ein Meer gewirkt, wie ein Kunstwerk der Natur. Gogol sprach vom „prangenden Strom“ und meinte, dem Dnepr komme auf Erden kein Fluss gleich.

Was hat Sie für Ihren Roman vor allem interessiert: der gewaltige Eingriff des Staudammbaus in die Natur oder die Wirkkräfte innerhalb der „Baugemeinschaft“ – Arbeiter, Juden, Roma, Ausländer, Frauen und eben besonders die „rote Herzogin“ Darja Katz, die Titelfigur?

Es ist ein Konglomerat von Natur und Mensch. Die gewaltigen Dimensionen des Staudammbaus von Zaporoschje, die gewaltsame Zähmung des Flusses, die Gewalt innerhalb der riesigen Baukolonnen. Ich muss an den Krieg gegen mein Land denken, es ist dasselbe Konzept sowjetischer Herrschaft. Der Größenwahn der politischen Führer. Damals wie heute tut man der Natur Gewalt an. Und das Leben des einzelnen Menschen zählt nicht.

Welche sind Ihre Quellen?

Bei meinen Recherchen zum Bau des Dnepr-Staudamms stieß ich auf das private Tagebuch eines Arbeiters. Darin beschreibt er den Alltag, aber auch die Gerüchte auf der riesigen Baustelle. Das war sehr wertvoll für mich.

Darja inszeniert sich einen Baustellen-Weihnachtsball, als könne sie die Zarenzeit zurückholen. Die kultivierte Frau setzt ihre Interessen genau so brutal durch wie Stalin seinen ersten Fünfjahresplan. Jeder benutzt jeden – eine „wölfische Zeit“?

Wenn Gewalt herrscht, passt man sich an! Menschliche Werte funktionieren nicht mehr, wenn die Gesellschaft von Misstrauen durchsetzt ist. Deshalb hat der Dichter Ossip Mandelstam vom „Jahrhundert der Wölfe“ gesprochen. Er kam in einem von Stalins Lagern um.

Svetlana Lavochkina: „Die rote Herzogin“, 128 S., 20 Euro

Lesung: 21. 4., 20 Uhr, Galerie Alte Feuer­wache in Göttingen

Kürzlich brannte es im Kernkraftwerk in Ihrer Heimatstadt Zaproschoje infolge des russischen Angriffskriegs. Was löst das in Ihnen aus?

Mich wühlt jede Nachricht aus der Heimat auf.

In „Die rote Herzogin“ erzählen Sie von lauter Entwurzelungen: Gibt es keine Hoffnung, nirgends?

Doch, die Juden haben den Holocaust überlebt und leben weiter. Die Kinder werden resilient aufwachsen. Die Hoffnung ist immer da, wenn auch mitunter in homöopathischen, der Zeit angemessenen Mengen.