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Immer noch der Arsch der Welt

GRENZWERTIG Die Einreise nach Polen ist für die Ukrainer auch während der EM eine demütigende Prozedur

BUS taz | „Keine Probleme an der Grenze“, sagt der Andrij Sadowy, Bürgermeister der EM-Stadt Lemberg. „Keine Probleme für unsere Fans an der Grenze“, sagt auch der Uefa-Allgewaltige Michel Platini. Also alles super im Grenzland Galizien? Mitnichten. Als die EM 2012 vor fünf Jahren an Polen und die Ukraine vergeben wurde, ging man in der Euphorie über Orangene Revolution wohl davon aus, dass die Visumspflicht für Ukrainer 2012 keine Rolle mehr spielen würde. Doch mit dem Beitritt Polens zum Schengener Abkommen sind die Grenzkontrollen sogar penibler und zeitaufwendiger als zuvor.

Die Uefa drängte beide Länder, dafür zu sorgen, dass Fußballtouristen im Sommer 2012 von diesen Schikanen verschont bleiben. Darum gibt es an den polnisch-ukrainischen Grenzübergängen extra „Euro-2012“-Spuren mit lässiger Schnellabfertigung. Was wie eine Liberalisierung aussieht, entpuppt sich als Ohrfeige für die Ukrainer. Für sie ist ein bürokratisches Ärgernis zum demütigenden Apartheidgrenzregime geworden.

Wer als Fußballtourist nicht im eigenen Pkw oder mit einem Reisebus voller Gleichgesinnter unterwegs ist, sondern den normalen Nachtbus von Lemberg nach Warschau nimmt, erlebt, wie es ukrainischen Putzfrauen, Bauarbeitern und Kleinhändlern auf dem Weg in Polen ergeht.

„Eine Schande“, sagt Busfahrer Juri, der die Strecke seit 15 Jahren fährt. „Früher war alles einfacher und jetzt sind wir der Arsch der Welt.“ Was er meint, ist ein im Idealfall zweistündiges Ritual. Kommt man aus Richtung Ukraine an die Grenze, betritt ein ukrainischer Grenzbeamter den Bus und sammelt mit Gesichtskontrolle die Pässe ein. Die werden eine Stunde geprüft und wieder ausgeteilt. Dann bewegt sich der Bus zehn Meter, es kommt ein polnischer Grenzbeamte, sammelt die Pässe mit Gesichtskontrolle ein und nimmt sie zur Überprüfung mit. Das dauert wieder eine Stunde.

Damit es nicht langweilig wird, werden die Gepäckräume des Busses geöffnet, die Passagiere müssen ihre Taschen nehmen und sich aufstellen. So bekommt der Zoll einen Überblick, welches Gepäckstück wem gehört. „Krass. Ist wie Guantánamo hier“, sagt Stefan aus Gelsenkirchen grinsend, der sich das Spiel Deutschland – Portugal in Lemberg angesehen hat und nach Hause fährt. Alle anderen finden es weniger witzig. Irgendwann kommt Juri mit den Pässen aus dem Dienstgebäude, sagt „keine Probleme“. Und meint etwas anderes als Platini. ULI RÄTHER

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