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Botender Zukunft

Die Corona-Impfung hat die mRNA-Technologie weltweit bekannt gemacht.Dank ihr wird längst an weiteren Impfstoffen gearbeitet – gegen Tollwut, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und nicht zuletzt Krebs. Wie stehen die Aussichten?

Von Kathrin Zinkant

Neue Technologien mobilisieren häufig ein besonderes Vokabular. Von Revolutionen ist dann oft die Rede, von Game-Changern und Durchbrüchen. In der Medizin kommen meist noch die Heilung und die Hoffnung dazu. Das ist auch mit den Impfungen nicht anders, die in den vergangenen 15 Monaten weltweit milliardenfach verabreicht wurden.

An Enthusiasmus wird jedenfalls nicht gespart, wenn es um die Basis der neuen Impfstoffe geht, die so genannte mRNA-Technologie. Sars-CoV-2 war demnach nur die geglückte Generalprobe. Nach Covid könnten mithilfe der gleichen Technologie noch ganz andere Krankheiten wirksam bekämpft werden. Das berichten Experten nicht nur in wissenschaftlichen Journalen. Vermeintlich und tatsächlich beteiligte Forscher der mRNA-Medizin wurden für die letzten – und werden nun für die nächsten – Nobelpreise als Favoriten gehandelt. Und im Buchhandel findet man Werke mit Ehrfurcht einflößenden Titeln wie „Das Ende aller Leiden“. Unbehandelbare Infektionskrankheiten und nicht zuletzt Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erscheinen bald besiegbar.

Wer verstehen will, was an diesem Hype um ein kleines, sehr instabiles Molekül dran ist, muss etwas tiefer in die Zeit zurückblicken – weiter, als bis zum Beginn der nicht enden wollenden Coronapandemie. Und es reicht auch nicht, sich mit Impfungen zu befassen, denn in den ersten Tagen der RNA-Biologie waren Vakzine oder gar Krebstherapeutika überhaupt nicht das Thema des zugehörigen Forschungszweiges. Anfangs ging es noch darum, die grundlegenden Vorgänge in den kleinsten Einheiten irdischen Lebens zu verstehen, den Zellen.

Seit den Arbeiten von Francis Crick und James Watson in den 1950er Jahren ist klar, dass die Erbinformation jeder dieser Zellen in einem ziemlich langen Molekül namens Des­oxy­ri­bo­nu­kle­in­säure, englisch abgekürzt DNA, gespeichert wird. Unklar ist damals, wie diese Erbinformation mit ihren Bauplänen zum Grundstoff biologischer Vorgänge, den Eiweißen umgesetzt wird. Schon vor der Entdeckung der DNA haben Experimente gezeigt, dass Proteine nicht dort hergestellt werden, wo die Erbinformation gespeichert ist, also im Zellkern. Vielmehr produziert die Zelle sie im Raum zwischen Kern und Hülle. Die Frage lautet damals: Wie kommt der Bauplan vom Kern dorthin, wo er gebraucht wird?

Ribonukleinsäuren, wiederum englisch als RNA abgekürzt, stehen früh in Verdacht, eine entscheidende Rolle für die Antwort auf diese Frage zu spielen. Als Bote zwischen der DNA im Zellkern und den Proteinfabriken der Zelle würden sie nicht nur die Information übermitteln, sie könnten auch entscheidend für die Regulation von Genen sein, also für das Timing der Eiweißsynthese – immerhin wird nicht jedes Eiweiß im Körper immer produziert, sondern nur bei Bedarf hergestellt. 1961 gelingt es, solche Boten-RNA – englisch messenger RNA, kurz mRNA – erstmals nachzuweisen. Es sind Kopien von Genen, die zuvor aktiviert wurden. Ist das zugehörige Eiweiß fertig produziert, werden die Kopien vernichtet.

Bis in die späten 1980er Jahre entwickelt sich die RNA als kleine Schwester der DNA in erster Linie zu einem wichtigen Instrument des molekularbiologischen Erkenntnisgewinns. Von Therapien ist lange keine Rede. Das ändert sich erst, als RNA ab 1984 auch synthetisch hergestellt werden kann. 1988 berichtet ein Doktorand des Salk Institute im kalifornischen La Jolla, dass Boten-RNA in Fettkügelchen verpackt von Zellen aufgenommen wird und zur Produktion der zugehörigen Eiweiße führt. 1990 zeigt ein Forscherteam der University of Wisconsin, dass synthetische Boten-RNA in den Muskel gespritzt die Produktion der kodierten Proteine bewirkt. Welches Eiweiß hergestellt wird, bestimmt der Experimentator, er kann die mRNA regelrecht programmieren. Das Resultat kann ein körpereigenes Protein sein – oder ein körperfremdes, zum Beispiel eine Arznei. Drei Jahrzehnte nach ihrer Entdeckung wird klar: Mit Boten-RNA könnten auch Krankheiten behandelt werden.

Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten stehen in den folgenden Jahren dabei allerdings nicht im Fokus. Vielmehr kondensieren die Erkenntnisse aus der Forschung an Boten-RNA und Krebs zu einem Wettlauf um mRNA als Krebsmittel. Die Idee dahinter ist nicht völlig neu: Schon lange werden therapeutische Krebsimpfungen erforscht. Man will das körpereigene Immunsystem auf den Tumor aufmerksam machen, so, dass der Körper den Krebs mit seinen eigenen Waffen bekämpfen kann. Die Abwehr des Körpers ist dazu in der Lage, so viel weiß man. Wie man die Aufmerksamkeit für den Krebs am besten stimuliert, bleibt unklar. Von Immunstoffen bis hin zu zerkleinertem Tumormaterial wird vieles getestet. So richtig funktionieren tut nichts.

Mit der Boten-RNA hat die Forschung nun aber eine neue Option. Sie könnte in Körperzellen zum Beispiel tumortypische Eiweiße herstellen lassen und den Krebs damit dem Immunsystem darbieten. Auch in Deutschland werden zwei Firmen gegründet, die ganz vorn im Wettlauf um so eine therapeutische Krebsimpfung mitmischen: 2000 entsteht in Tübingen Curevac, acht Jahre später in Mainz das Unternehmen Biontech. Um mit mRNA gegen Krebs impfen zu können, müssen die Firmen dafür allerdings auch zwei zentrale Probleme lösen.

Das erste lautet: Die RNA muss stabil sein, damit sie nicht auf dem Weg in die Zellen von körpereigenen Enzymen zerhäckselt wird. Das zweite ist ein Grundproblem vieler moderner Therapien: das Delivery, frei übersetzt das Einschleusen des Wirkmoleküls in die Zellen. Für beide Probleme entwickeln die konkurrierenden Firmen jeweils eigene Strategien. 2008, als Biontech gerade erst gegründet wird, ist Curevac mit einem ersten Konzept schon fertig. Sechs stabilisierte Boten-RNAs, die für sechs typische Eiweiße von Prostata­krebs kodieren, sollen an ein kleines Trägereiweiß geheftet in die Zellen von Patienten eingebracht werden. 2012 startet eine Studie an fast 200 Patienten. Auch Biontech geht mit seiner Strategie in erste klinische Prüfungen. Eine chemisch veränderte mRNA bildet die Basis, verpackt wird sie in winzige Fettkügelchen.

Um mit mRNA gegen Krebs impfen zu können, müssen die Firmen dafür zwei zentrale Probleme lösen

Keine der Studien verläuft jedoch erfolgreich. 2016 erhält Curevac die niederschmetternde Nachricht, dass die knapp 200 Prostatakrebspatienten auf die Behandlung praktisch nicht ansprechen. Für Biontech läuft es mit seinen Kandidaten ähnlich. Ein Teil des Problems ist inzwischen bekannt: Die Boten-RNA gelangt zwar in die Zellen der Patienten, auch die Eiweiße werden produziert und dem Immunsystem dargeboten. Doch Krebs ist eine komplexe Erkrankung, die entarteten Zellen wissen sich unter anderem so zu maskieren, dass das Immunsystem sie nicht als schädlich erkennt. Diese Maskierung wird von der mRNA nicht unterlaufen, im Gegenteil, die neuen Therapien scheitern daran.

Es gibt inzwischen Medikamente und Therapien, die dem Krebs die Maske rauben können, sie sind zugelassen und stellen den größten Fortschritt in der Krebstherapie seit Jahrzehnten dar. In Kombination mit den mRNA-Krebsimpfstoffen könnten sie noch größere Wirksamkeit entfalten – ob es so ist, muss allerdings erst noch in Studien untersucht werden.

Für die mRNA-Firmen heißt das nach der Pandemie womöglich, neue Schwerpunkte setzen zu müssen. Curevac und Biontech hatten schon vor Corona eine wachsende Anzahl von Infektionskrankheiten mit in ihr Forschungsprogramm aufgenommen. Impfungen gegen Tollwut, Grippe, Lassa-Fieber oder Tuberkulose haben nach den herausragenden Ergebnissen der Covid-Vakzine auch gute Chancen, in den kommenden Jahren den Markt zu erreichen.

Weil sie schnell zu produzieren sind, nicht viel kosten und darüber hinaus auch leicht angepasst werden können, steckt in ihnen also ein enormes Potenzial – nur vermutlich nicht zuerst gegen Krebs. Als Impfstoffe gegen Viren, Parasiten und Bakterien dagegen haben sie schon jetzt gezeigt, dass sie zu einer Revolution durchaus in der Lage sind.

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