Historikerin über Kinder im KZ: „Der Tod war für sie normal“
Weil die meisten starben, weiß man wenig über Kinder im KZ. Historikerin Diana Gring hat aus Überlebenden-Interviews eine Ausstellung gemacht.
taz: Frau Gring, man weiß nur wenig über Kinder in Konzentrationslagern – warum?
Diana Gring: Weil die meisten Kinder, die zu Verfolgungsgruppen gehörten, in der NS-Zeit umgebracht wurden. Überleben durfte nur, wer arbeiten konnte. Dazu gehörten Kinder unter 14 Jahren im Allgemeinen nicht. Deshalb wurden sie meist direkt in reine Vernichtungslager deportiert und kamen nicht in das KZ-System, wie man es in Bergen-Belsen oder Neuengamme hatte. In Bergen-Belsen, von dem diese Wanderausstellung vorrangig handelt, waren allerdings relativ viele Kinder.
Warum das?
Weil Bergen-Belsen als sogenanntes Austauschlager gegründet wurde. Dort hat man jüdische Familien mit ihren Kindern als Geiseln gefangen gehalten, um sie auszutauschen – gegen im Ausland internierte Deutsche oder gegen Geld. Eine größere Gruppe wurde zum Beispiel in die Schweiz „verkauft“ und so gerettet. Auch mit Palästina, Spanien und der Türkei gab es Austausche. Ein zweiter Grund für die relativ vielen Kinder in Bergen-Belsen waren die Räumungstransporte und Todesmärsche aus anderen Lagern nach dort gegen Ende des Krieges. Damals räumten die Nazis viele Lager, um Spuren zu verwischen. Aus Ravensbrück etwa kamen viele Frauen mit Kindern, aber auch Schwangere. In den letzten Monaten vor Kriegsende wurden in Bergen-Belsen ungefähr 200 Kinder geboren. Insgesamt waren in den zwei Jahren des Bestehens von Bergen-Belsen circa 3.500 der 120.000 Häftlinge Kinder unter 15 Jahren.
52, Historikerin und Politologin, ist seit 2009 Kuratorin an der Gedenkstätte Bergen-Belsen.
Wie viele dieser Kinder starben?
Wir wissen es nicht genau. Kurz vor Kriegsende, bevor die britischen Alliierten kamen, wurde die gesamte Lagerregistratur von Bergen-Belsen verbrannt. Oft wurden Kinder im KZ-System auch nicht als eigenständige Personen registriert. In den wenigen überlieferten Dokumenten steht dann „Mutter mit Kind“, oder „Frau, 8. Monat schwanger“. Wir schätzen, dass circa 600 Kinder in Bergen-Belsen starben.
Auf welchen Quellen fußt Ihre Ausstellung?
Vor allem auf seit 20 Jahren geführten Interviews mit Kinder-Überlebenden, denen wir oft erst sagen mussten, dass sie wichtige ZeugInnen sind, obwohl den Jüngsten unter ihnen die bewusste Erinnerung fehlt.
Um welche Fragen ging es?
Zum Beispiel um das Lernen: Wie haben Eltern versucht, Kindern auch unter diesen Bedingungen etwas beizubringen – etwa das Zählen beim Appell oder anhand von Leichen? Wie kümmerten sich Mithäftlinge um Waisen? Die Ausstellung zeigt beispielsweise ein Paar Handschuhe, das eine damals Elfjährige, die allein nach Bergen-Belsen kam, von einer Mitgefangenen zugesteckt bekam. Es war das Einzige, was sie hatte, was ihr Wärme gab – für sie ein wichtiges Zeichen von Hilfe und Solidarität.
Wie hat das KZ das weitere Leben dieser Kinder geprägt?
„Kinder im KZ Bergen-Belsen“: Eröffnung 3. 4. von 12 bis 14 Uhr. Laufzeit bis bis 26. 6., Hamburg, KZ-Gedenkstätte Neuengamme
Umfassend. Die Kinderhäftlinge hatten dieselben katastrophalen Lebensbedingungen wie die Erwachsenen. Sie haben Hunger gelitten, Gewalt erlebt, Angehörige neben sich sterben sehen. Die Folgen dieses extremen Traumas bestehen meist ein Leben lang, physisch wie psychisch. Das gilt auch für jene, die keine eigenen Erinnerungen an die Lagerzeit haben.
Wie haben sie den allgegenwärtigen Tod verkraftet?
Viele sagen heute, dass sie damals völlig abgestumpft waren. Dass es für sie normal war, dass sie damals nicht begriffen haben, wie furchtbar das alles war. Etliche waren ja in die Verfolgung hineingeboren worden. Sie kannten gar kein normales Leben und hatten 1945 Schwierigkeiten, sich in den Alltag einzufinden. Viele haben die Hilfe von Psychologen und Traumatherapeuten gebraucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!