piwik no script img

Frauenfußball im ausverkauften Camp NouVor einem Wendepunkt

Beim Spiel zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid in der Champions League geht es um einen Weltrekord und den Wunsch nach einer neuen Ära.

Höhenflug: die Fußballerinnen von Barça haben in 35 Spielen 35 Mal gewonnen Foto: Manu Fernandez/ap

An einem kühlen Morgen haben sich Fußballerinnen des FC Barcelona im Johan-Cruyff-Stadion für Interviews aufgereiht. Hier, auf dem Campus des Vereins, zerlegen sie sonst ihre Gegnerinnen, so wie überhaupt auf allen Plätzen: Wettbewerbsübergreifend stehen die Barça-Frauen diese Saison bei 35 Siegen aus 35 Spielen und 176:10 Toren. Auch ins Viertelfinal-Rückspiel der Champions League gegen Real Madrid am Mittwochabend gehen die Titelverteidigerinnen als Favorit, zumal nach einem 3:1 im Hinspiel. Und doch wird alles anders sein. Denn gekickt wird nicht im Johan Cruyff vor den Toren der Stadt, sondern weiter Richtung Zentrum: im Camp Nou.

Es ist eine Premiere, und sie dominiert die Gespräche. „Schmetterlinge im Bauch“ spürt Mittelfeldspielerin Patri Guijarro, „ein Tag, um Geschichte zu schreiben“, sieht Torhüterin Sandra Paños, und Angreiferin Claudia Pina sagt: „Ich erwarte Unglaubliches. Ich erwarte Gefühle, wie ich sie noch nie erlebt habe.“

Das Camp Nou mit seinen gut 99.000 Plätzen ist das größte Fußballstadion des Planeten, weshalb es einen Zuschauerweltrekord für Frauenspiele geben könnte. Als bisherige Bestmarke gelten die 90.185 Menschen, die 1999 das WM-Finale zwischen den USA und China verfolgten. Auf Klubebene kamen 60.739 Fans vor drei Jahren zur Partie zwischen Atlético Madrid und Barcelona. Zumindest diese Zahl sollte geknackt werden.

Selbst mit 60.000 Zuschauern sieht das Camp Nou halb leer aus – deshalb hat man sich diesen Schritt lange nicht getraut. Nur während der Pandemie spielten die Frauen dort einmal, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Doch mit dem Erzrivalen Real Madrid als Gegner, der Champions League als Wettbewerb und der familienfreundlichen Anstoßzeit um 18.45 Uhr war der Moment gekommen, eine verbreiterte Fanbasis auf die riesige Schüssel loszulassen. Mitglieder konnten Tickets für 2,50 Euro Bearbeitungsgebühr erwerben, der Rest zahlte neun Euro aufwärts. Schon binnen weniger Tage nach Verkaufsstart im Januar meldete der Verein: ausverkauft.

Neue Maßstäbe mit Barça-Stil

„Wir spüren, dass wir an einem Wendepunkt stehen und immer mehr Leute auf unseren Fußball abgehen“, sagt Melanie Serrano, 32, die Veteranin des Kaders. Als sie zu Teenagertagen bei Barça anfing, mussten die Mädchen spätabends trainieren, um überhaupt einen Platz zu bekommen, und die Szene wurde aus Nord- und Mitteleuropa dominiert. Nach behutsamem Aufbau ist es jetzt erstmals ein südlicher Klub, der Maßstäbe setzt – mit seinem typischen Pass-Stil, mit der amtierenden Weltfußballerin Alexia Putellas, mit dem souveränen Champions-League-Sieg der Vorsaison.

„Unseren Sport und unseren Erfolg sichtbar machen“, will Serrano heute, „und der besteht nicht nur aus Titeln, sondern auch aus unserer Spielweise. Sie ist schön, aber gleichzeitig schwer – viele Klubs versuchen uns jetzt zu kopieren, aber es ist nicht leicht, das Spiel so aufzufassen wie wir: Dahinter steckt jahrelange Arbeit.“

Der normale Zuschauerschnitt im Johan Cruyff liegt mittlerweile immerhin bei rund 3.000. Die Popularität der Barça-Frauen trifft das emanzipatorische Lebensgefühl einer Stadt, die seit sieben Jahren von einer progressiven und feministischen Oberbürgermeisterin regiert wird – und das auch der Verein verinnerlicht hat. Am Weltfrauentag erweiterte er zur Hommage die Mittelkreise seiner Fußballfelder mit einem horizontalen Strich zum Venus-Symbol. Heute nun sollen die Zuschauer vor Anpfiff in Anlehnung an das Klubmotto „més que un club“ (mehr als ein Verein) ein Mosaik mit der Inschrift „més que empowerment“ bilden.

Klingt sperrig, aber es geht ja um die Botschaft – die sich auch bei den Frauen am stärksten über Personen verbreitet. Die jüngsten Auszeichnungen für Weltfußballerin Putellas haben noch mal für einen Schub gesorgt, verrät ein Klubmitarbeiter: „Titel und eine Ikone – so wie es bei Messi war, ist es jetzt bei Alexia. Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass bärtige Männer im Trikot einer Fußballerin ins Stadion kommen?“ Heute wird man sie sehen, heute ruft die Geschichte. „Es kann der Anfang einer neuen Ära sein“, sagt Alexia.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!