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Humanes Trotzdem

Der Kunstverein Aschaffenburg zeigt Mike Clouds aufregend-existenzielle Malerei erstmals in Europa. Und gesellt ihr drei eigensinnige Künst­le­r:in­nen zur Seite

Mike Cloud: „MCL Untiteld for Christs Sake“, (2013) Foto: Courtesy Mike Cloud

Von Katharina J. Cichosch

Bilder, die sich dem Primat des Rechtecks verweigern, gab es in der Kunstgeschichte immer wieder. Aber man darf wohl mit einiger Sicherheit sagen, dass niemand die geformte Leinwand so interpretiert hat wie Mike Cloud: Zwei-, drei- und vierfach sich überkreuzende Bildflächen sieht man bei ihm und jede einzelne ist in sich aus geometrischen Grundformen zusammengesetzt, eingerahmt von Holzleisten, auf die der Künstler aus Chicago besagten Malgrund nicht fein säuberlich aufgezogen, sondern mit Metallklammern angetackert hat. Kunstvolle Artefakte, die einem eigenen Geheimwissen zu folgen scheinen.

So wie „S of B“, eine rund zweieinhalb Meter hohe und an ihrer breitesten Stelle zwei Meter lange Bildgewalt: Einzelne Leinwandfetzen sind mit einer orange-gelb-braunen Farbpalette bearbeitet, streng abstrakt, nur einige Würfelformen lassen sich erkennen. Die hölzernen Tragestangen, sonst unsichtbares Grundgerüst der Malerleinwand, liegen blank. Auf ihnen hat Cloud Hinweise angebracht, es sind Bleistiftlettern auf Papier: Cheyenne Brando, Sandra Bland, David Carradine. Oben ragt ein roséfarbener Strick aus dem Bild, das seinerseits auf einem Sockel aus gestapelten Holzresten montiert steht.

Die Ahnungen verdichten sich. Wer bisher noch keine einschlägigen Assoziationen entwickelt hat, weil zum Beispiel der Name Carradine Erinnerungen an die Schlagzeilen des bei einem erotischen Unfall getöteten US-Schauspielers weckt, wird es spätestens mit dem Namen der Werkserie nachholen. „Hanging“ hat Cloud die Reihe genannt, die sich Internet-Bildfunden von ebensolchen Gehängten widmet, „Beheading“ eine weitere. Schauer lassen nicht auf sich warten. Wie viel Vergnügen darf ein Kunstwerk bereiten, das Hinrichtungen und fatale Unfälle zum Thema hat? Doch damit befindet man sich schon mitten im Herzstück von Mike Clouds Malerei, die Überlegungen über ihr eigenes Wesen wie über das der Menschheit überhaupt anstellt. In den USA sorgt der Chicagoer damit seit Längerem für Furore. Der Kunstverein Aschaffenburg zeigt seine Bilder nun erstmals in Europa. Zwei Seekisten erreichten das Haus vor einigen Wochen, gefüllt mit Clouds Malerei. Er ließ dem Team freie Hand, wie und wo die einzelnen Arbeiten positioniert werden.

Ein Hauch Anarchogeist weht durch die Ausstellungsräume in einer ehemaligen Brauerei, wo Einzelschauen höchst selten sind. Drei Künst­le­r:in­nen hat man Mike Cloud an die Seite gestellt und das Ergebnis „Tough Connections“ genannt: Die unten liegende Etage zeigt Arbeiten von Rita Rohlfing und Achim Zeman – herrlich minimalistisch, nur mit rot glänzender und silbern geprägter Folie (Rohlfing) beziehungsweise grünen Klebestreifen (Zeman) werden ganze Räume bespielt, optische Illusionen und kinetische Farbeffekte inklusive. Sagenhaft auch Rita Rohlfings bunte Kästen, die mit einem eingerollten Farbpapier allein je nach Blickwinkel unendlich viele Bilder erzeugen.

Neben dem Eigensinn, mit dem alle Positionen die Malerei für sich interpretieren, schlägt das einfache Material zaghafte Verbindungen – alle Ausstellenden nutzen günstige Alltagsfunde, Folien und Klebestreifen wie hier, Holzstreben oder Kinderkleidung aus dem Discounter eine Etage weiter oben bei Mike Cloud, die der Künstler für eine neue Serie als Malgrund verwendet. Happy Dannenberg, seinerseits auf ganz eigenen Pfaden unterwegs, fertigt Arbeiten unter anderem aus eingegossenen Süßwaren, wenn er jene nicht selbst mit Epoxidharz in XXL neu erfindet – als verführerische Ideen, die man sich vorstellen, aber niemals konsumieren kann. Hier und da gesellt sich motivisch ein katholischer Barock ins Malensemble, auch dies eine einleuchtende connection. Die Kombination mit Künst­le­r:in­nen aus völlig unterschiedlichen Kontexten ist ein Glücksgriff – so bleibt allen reichlich Raum zum Atmen, auch Mike Clouds inhaltlich schwerer Malerei, die zugleich in so heiteren Farben und Materialfreude daherkommt. Auch für Selbstironisches im kleinen Format bleibt Platz: „Goddamnit Mike Cloud“ flucht ein Bild seinen Schöpfer da aus zentimeterdicken Farbschichten an.

Malen und Nachdenken

Malen und Nachdenken scheinen beim Künstler Hand in Hand zu gehen. In einem Interview mit dem Bomb Magazine weist er auf frappierende Parallelen in der Wortwahl hin: Bilder werden gehängt, Malerei fragmentiert den menschlichen Körper (oft genug enthauptet sie ihn sogar). Dieser menschlichen Bildwerdung setzt Cloud nun wiederum das Ultra-Fragment entgegen: zerstückelte Leinwände, gekreuzigte Tragestangen, fette Farbschichten und Ornamente. In der konzeptionellen Abstraktion findet er einen malerischen Existenzialismus, der den tribalism, das menschliche Stammesdenken zu überwinden sucht. Seine Porträts sind Porträts ohne erkennbare Kategorien: Geschlecht, ethnische Einteilung, andere Merkmale, nach denen die Bildwerdung eines Menschen im realen Leben durch andere erfolgt, sind nicht repräsentiert. Und doch sind es persönliche Porträts jeweils einer oder eines Einzelnen.

Mike Clouds Ornament: Zerstückelte Leinwände und gekreuzigte Stangen

Kann man einem Bild ansehen, wie interessant der Gedanke ist, mit dem sich sein Erschaffer beschäftigte? Auch das ist so eine Erkenntnis, an der sich der Mittvierziger abarbeitet: Malerei schafft Anmut aus menschlichem Leid. Nicht als Ausnahme, sondern als Regel. Seine „Beheading“-Bilder sieht er durchaus als Trost, Hommage an die Getöteten. Erinnerungen an Dana Schutz und ihr Bild „Open Casket“, das der Malerin viel Protest und der Kunstwelt die Frage einbrachte, ob eine Weiße Frau ein Schwarzes Gewaltopfer malen darf. Cloud macht die Frage der Ausbeutung von Leid zu einer universellen und bringt verdrängte Zustände der menschlichen Vergesellschaftung ins Atelier. Ohne zu nivellieren, dass ebenjener tribalism in einer ungleichen Welt die einen ungleich brutaler trifft als die anderen. Was bedeutet es für unser Zusammenleben, wenn es evolutionär durchaus Sinn machen kann für den Einzelnen, kein Mitgefühl für den anderen zu haben – jenen Menschen also, der aus subjektiven Gründen nicht dem eigenen Clan zugerechnet wird?

Clouds Malerei zeugt vom Hadern, womöglich aber auch einem theoretischen, malerischen Überwinden einer allzu begrenzten Vorstellung vom Menschsein. Denn in einer zweckrationalen Betrachtung wären selbstredend auch Kinder zu bekommen, der energieaufwändige Alltag eines einzelnen Menschen oder eben Malerei irrationaler Überfluss. Und gleichsam wird gemalt, werden Kinder großgezogen und Verbindungen zwischen Menschen geschlagen, die sich eben noch fremd waren. Clouds Kunst ließe sich in diesem Sinne als humanes Trotzdem begreifen. Die, gerade weil sie sich nicht mit der wahren Welt verwechselt, eine Option bereithält, die Sachzwänge menschlicher Vergesellschaftung zu überwinden.

Malerisch manövriert Mike Cloud um inhaltlich Existenzielles. Formal wirkt das aufregend und bei allem Überfluss an aktueller Malerei so wirklich noch nie gesehen. Man kann sich fragen, ob diese Bilder nun einen Anschlag auf die Malerei darstellen, auf ihr Virilitätsversprechen, das Cloud als nekromantischer Freibeuter ad absurdum führt. Oder vielmehr eine offene Wunde.

Diese Bilder sollten aus der Nähe betrachtet werden, vis-à-vis im körperlichen Gegenüber (so, wie sich auch der Künstler selbst in seinen Porträts gern zusammen mit der eigenen Malerei positioniert). Die knarzenden Holzdielen, die unebenen Wände und der DIY-Geist des Aschaffenburger Kunstvereins mitsamt drei weiteren Künst­le­r:in­nen sind eine würdige erste Station für Cloud in Europa. Bald werden seine Bilder, die wie magische Portale in andere Möglichkeiten hinausweisen, sicherlich dann auch hier in den gewohnten White Cubes zu sehen sein.

„Tough Connections. Mike Cloud, Happy Dannenberg, Rita Rohlfing, Achim Zeman“. Bis 1. Mai, Kunstverein Aschaffenburg, kein Katalog

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