„Das Bewusstsein wächst“

Philosoph Horsthemke spricht in Lübeck über Tierethik auf dem afrikanischen Kontinent

Foto: privat

Kai Horsthemke

64, Philosoph, Professor an den Universitäten von Witwatersrand (RSA) und Eichstätt (Bayern).

Interview Petra Schellen

taz: Herr Horsthemke, Sie sprechen heute über Tiere und afrikanische Ethik. Welche Länder meinen Sie?

Kai Horsthemke: West-, Ost- und Südafrika, wo ich insgesamt 47 Jahre gelebt habe.

Sie zitieren den simbabwischen Autor Chenjerai Hove so: „Wir haben die Natur weder katalogisiert noch aufgespießt …, wir sehen sie anders und sprechen anders … über sie.“ Können Sie das bestätigen?

Teilweise. Die industrielle Massentierhaltung in so großem Maßstab wie im amerikanisch-europäischen Raum war lange Zeit einzigartig, nimmt aber auch auf dem afrikanischen Kontinent zu. Es stimmt zwar, dass das Verhältnis vieler AfrikanerInnen zu Tieren weit intimer ist. Es ist aber trotzdem anthropozentrisch.

Wie zeigt sich das?

Der Mensch hat Tieren gegenüber nur indirekte Pflichten. Direkt verpflichtet ist er anderen Menschen, auch bereits Verstorbenen, und natürlich dem Schöpfergott. Im Denken vieler AfrikanerInnen gibt es eine Seinshierarchie. An oberster Stelle steht der Schöpfergott. Danach kommen die Geister, dann die Ahnen, danach der Mensch und die Restnatur. Die Ahnen – die „lebenden Toten“ – vermitteln zwischen den Menschen und Gott. Um diese Ahnen und auch Gott zu besänftigen, müssen Opfer erbracht werden.

Sie meinen Tieropfer?

Ja, und dazu gehört auch, dass die Tiere beim Getötetwerden Laute von sich geben müssen. Wenn Ziegen, Schafen, Rindern die Kehle durchgeschnitten wird, muss das mit Schmerz verbunden sein. Wenn die Tiere nicht brüllen oder schreien, stimmt das die Ahnen vielleicht nicht zugewandt.

Das klingt nach Tierquälerei.

Für den Moment des Sterbens stimmt das sicher. Bis dahin haben die Tiere allerdings ein weitaus angenehmeres Leben gehabt als die normalen Schlachttiere, die wir hier in Europa halten.

Wie schön ist das Leben eines künftigen Opfertiers?

Schon recht angenehm. Die Tiere sind – gerade in ländlichen Gegenden – stark in die Gemeinschaft eingebunden. Trotzdem soll das Tier dem Menschen und menschlichen Interessen dienen.

Gibt es keinen Widerstand gegen diese Opferpraxis?

Doch, zunehmend. Ich glaube, dass das Gespür für Tierrechte und das Umweltbewusstsein in den letzten zehn Jahren auf dem afrikanischen Kontinent stark gewachsen sind – vor allem an den Universitäten und bei NGOs. In der Philosophie entwickelt sich gerade eine spezifisch afrikanische Tierethik. Zentral ist dabei etwa der Ubuntu-Begriff. Er leitet sich ab von Umuntu-Ngumuntu-Ngabantu – was bedeutet: Ein Mensch ist ein Mensch durch andere Menschen. Beziehungsweise: Ich bin, weil wir sind. Diese Lebensphilosophie des Miteinanders, der relationalen Eingebundenheit und des Teilens wird zunehmend auch auf Tiere angewandt.

Und in welchen Regionen wächst die Massentierhaltung?

Besonders stark in Südafrika, dem größten afrikanischen Industrieland. Zunehmend aber auch in Nigeria und Äthiopien, mit Schlachtvieh und Legebatterien.

Widerspricht das nicht dem innigen Verhältnis zum Tier?

Doch. Aber der Widerspruch wird immer stärker von afrikanischen Denkern hinterfragt.

Vortrag „Tiere und afrikanische Ethik“: 19 Uhr, Lübeck, Museum für Natur und Umwelt, Musterbahn 8. Anmeldung erbeten unter ☎04 51-122 22 96 oder an der Kasse