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berliner szenen Am Ufer

Das Gebrüll

Am Abend hatte ich am Ufer gesessen und aufmerksam die ganze Zeitung durchgelesen. Neben mir zupfte eine Frau mit einem Tattoo auf ihrem Schulterblatt Gras und warf und es den Schwänen zum Fressen hin. Die Artikel in der Zeitung kommentierten und ergänzten einander, manchmal auch wurden sie dementiert. Manchmal freute ich mich über alt vertraute Begriffe wie Besetzungs- und Ersetzungsenergien und dachte, dass man mit ihnen wohl vieles erklären könnte.

So vertieft war ich in das Lesen gewesen, dass ich den Schwan erst spät bemerkte, der mir beim Lesen zugeguckt hatte. Mit interesselosem Wohlgefallen schauten wir einander lange an. Dann ging er ins Wasser. Ein bisschen hoffte ich, dass er nun losflog. Doch die Schwäne leben nach eigenen Regeln und halten sich nicht an meine Hoffnungen.

Im Aufbruch begriffen hörte ich einen Mann wohl am Rande des Urbankrankenhauses brüllen. Die ganze ohnmächtige Wut tausender Niederlagen schien in seiner Stimme zu liegen. Sie schwoll an vom Wunsch, die Angebrüllten mit seinem Brüllen zu vernichten und vom Wissen (irgendwo in seinem Körper) um die Lächerlichkeit seines Brüllens, das er niederbrüllen musste, um weiter brüllen zu können. Das einzige Wort, das man verstand, war „Feuerzeug“.

Manchmal hörte man auch den Klang einer begütigenden Frauenstimme. Dann war’s kurz still. Dann brauste es wieder los. Das Gebrüll ließ auf einen kleinen, gedrungen und betrunkenen Hartz-IV-Kranken schließen. Die Angebrüllten stellte man sich erschrocken, hilflos ironisch grinsend vor. Seltsam, dass es sich dann so schnell erledigte und dass da, wo zuvor das Gebrüll gewesen sein musste, nichts mehr war, als ich vorbeifuhr. DETLEF KUHLBRODT

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