: Viel mehr als immer nur Stasi
Der Sammelband „Was wir filmten“ stellt ostdeutsche Filmemacherinnen und ihre Arbeiten nach 1990 vor und dokumentiert die Vielfältigkeit ihrer Themen
Von Silvia Hallensleben
Auch unter deutschen Filmemacher*innen sind Ost und West noch nicht richtig zusammengewachsen. Auch hier sind Macht und Aufmerksamkeit ungleich verteilt, die Filmografien der Regisseurinnen aus dem Osten in der öffentlichen Wahrnehmung oft auf ihre DDR-Zeit reduziert. Und sonst im Aufdecken hegemonialer Strukturen geübte Feministinnen aus der ehemaligen Bonner Republik sind sich ihrer spezifischen „Westperspektive“ oft kaum bewusst.
Auch dies war dem Internationalen FrauenFilmFestival Dortmund+Köln ein Anlass, in der Ausgabe 2020 gezielt den Blick auf das Schaffen ostdeutscher Regisseur*innen nach der Vereinigung zu richten. Mit dem Ziel, so die Ansage, die „Nachwendezeit neu zu interpretieren“ und der gängigen Fokussierung auf Stasi-Themen differenziertere Bilder entgegenzusetzen.
Das gelang im produktiven Diskurs zwischen den Filmen, den westdeutschen Festival-Kuratorinnen und den ostdeutschen Filmfrauen verschiedener Generationen – von der letztes Jahr verstorbenen Dokumentaristin Tamara Trampe bis zu Phuong Thanh Nguyen und Phuong Thuy Nguyen, die als junge Medienschaffende und Töchter vietnamesischer Vertragsarbeiter*innen in Sachsen von dieser Migrationsgeschichte erzählen.
Geschlossen und durchlöchert
Jetzt ist ein Buch erschienen, das diesen Austausch auf 200 Seiten dokumentiert und weiter spinnt. Die Herausgeberinnen Maxa Zoller, seit 2018 Leiterin des IFFF, und Betty Schiel, seit 1996 Kuratorin unter anderem für das Festival, postulieren in ihrer Einleitung eine „queere Geschichtsschreibung“, die der linearen Logik des gängigen Wiedervereinigungsnarrativs einen diversen multiperspektivischen Blick gegenüberstelle: „Die Art des Sprechens in diesem Buch vereint vermeintliche Gegensätze – pointiert und fragmentiert, geschlossen und durchlöchert, konzentriert und porös, anekdotisch und allgemeingültig, inoffiziell und offiziell.“
Schon im bewegten Layout des Bandes und der von einem Dutzend Autor*innen verfassten unterschiedlichen textlichen Formate wird solche Vielfalt eingelöst: Filminterpretationen stehen neben Produktionsnotizen und Hintergrundberichten, als Abschlussakzent bietet ein beim Festival aufgezeichnetes Rundtisch-Gespräch zum Erinnern diskursive Polyphonie.
Thematisch führt der Band von den späten Spielfilmen von Heike Misselwitz über verschiedene dokumentarische Arbeiten bis in die Super-8-, Kunst- und Video-Szene. Starkes Leitmotiv wird dabei bald (neben dem wiederholt berichteten Trauma der kapitalistischen Einverleibung) der Rassismus, der die Vereinigung von Anfang an begleitete und von Misselwitz schon 1990 in ihrem ersten Spielfilm „Herzsprung“ thematisiert wird. Der ist damals in der allgemeinen Mauerfallseuphorie weitgehend untergegangen.
Auch Angelika Nguyens 1991 entstandener wichtiger Dokumentarfilm „Bruderland ist abgebrannt“ über vietnamesische Vertragsarbeiter*innen während des Umbruchs fand erst ab 2017 größere öffentliche Resonanz. 2020 wurde er in die Mediathek der Bundeszentrale für politische Bildung aufgenommen. Hoffentlich ein Zeichen, dass die Rezeption der „Wende“ endlich in breiterem Maßstab Positionen jenseits der West-Ost-Dichotomie aufnimmt. Das Buch „Was wir filmten“ zeigt jedenfalls eindringlich, wie aus dem deutsch-deutschen Dialog notwendigerweise ein Gespräch über deutsche Vielfältigkeiten wird.
Betty Schiel, Maxa Zoller (Hg.): „Was wir filmten. Filme von ostdeutschen Regisseurinnen nach 1990“. Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2021, 208 Seiten, 16 Euro
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