„Bilder dürfen anziehend sein“

Robin Hinsch erklärt, warum er Elend schön fotografiert: Seine Serie „Wahala“ gehört zum Querschnitt junger deutscher Fotografie, den das Hamburger Phoxxi zeigt

Nur, wenn Bilder die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, regen sie auch zum Nachdenken an Foto: Robin Hinsch / Gute Aussichten

Interview Jan Paersch

taz: Robin Hinsch, Sie haben schon in China, Irak, Syrien und der Ukraine fotografiert – Länder, die nicht gerade für freundlichen Umgang mit Jour­na­lis­t*in­nen bekannt sind. Haben Sie keine Angst?

Robin Hinsch: Bisher ist fast immer alles gut gegangen. Auch in Deutschland kann es passieren, dass ich mich der Polizei erklären muss. Ich denke immer: Mich hat ja keiner gezwungen, hier zu sein. Das beeinflusst auch die Körpersprache. Wenn man signalisiert: „Was bitteschön soll ich euch denn schon tun“, hilft das schon.

Wo ist es denn einmal nicht so gut gegangen?

Als der Ukraine-Russland-Konflikt gerade begonnen hatte, wurde ich einmal für einen ausländischen Spion gehalten. Ich hatte eine eingestürzte Brücke nahe Mariupol fotografiert.Und auf einmal tauchten direkt vor mir Leute aus dem Gebüsch auf. Die haben mich sofort einkassiert, da half auch meine Akkreditierung nicht. Nach ein paar Stunden konnte ich wieder gehen – aber das war schon unangenehm.

Ihre Arbeit „Wahala“, die gerade in den Deichtorhallen gezeigt wird, beschäftigt sich mit den weltweiten Ausbeutungsmechanismen hinter der Förderung fossiler Brennstoffe. Was war Ihr Antrieb dabei?

Man weiß, dass Kohlenstoffdioxid der Motor der Klimakrise ist. Ich habe mich gefragt: Wo kommen Öl, Kohle und Gas her? In einem Land wie Nigeria wird seit 1954 im großen Stil Öl gefördert – seitdem gibt es dort unfassbare Umweltverschmutzungen. Im Nigerdelta wird der Wohlstand für andere Länder gefördert, aber an dem Ort selbst ist nichts. Es gibt Ölabfacklungsanlagen, die man mit einfachen Mitteln in Stromgeneratoren verwandeln könnte. Aber in ganz Nigeria gibt es keine Stromleitungen! Die Menschen sehen, wie das Gas abbrennt und haben nichts. Es ist, als würden die vor einem vollen Kühlschrank verhungern. Auch Indien war interessant, weil diese Gesellschaft so schnell wächst und Kohle dort so wichtig im Energiemix ist. Die Folge ist eine katastrophale Luftverschmutzung. Oft heißt es bei uns: Wenn diese Förderung nicht aufhört, kommt die Apokalypse. Dabei ist sie längst da!

Was bedeutet der Titel „Wahala“?

Das ist ein geflügeltes Wort in Yoruba, eine der vorherrschenden Sprachen in Nigeria. So wie man „No Worries“ sagt, sagt man: „No Wahala“ – kein Problem. Je tiefer ich aber ins Nigerdelta eindrang, desto öfter wurde aus „No Wahala“ ein „Wahala“. Aus europäischem Blickwinkel sieht es aus wie „Walhalla“ – das ist auch ein bisschen catchy. Und natürlich wäre es zu schlicht gewesen, die Ausstellung nur „Problem“ zu nennen.

Foto: Robin Hinsch

Robin Hinsch

Jg. 1987, ist Fotograf für u. a. Der Spiegel, Süddeutsche, Zeit, lebt in Hamburg. Sein Buch „Wahala“ erscheint im Herbst.

Ihre Arbeiten dokumentieren Zustände und sind gleichzeitig autonome Kunstwerke. Wie kam es dazu?

Als Teenager war ich oft auf Demos und habe die dann auch fotografiert, genau wie die Bands meiner Freunde. Dokumentarfotografie hat mich immer interessiert, vor allem Pop und Politik. Nach dem Abitur in Winsen an der Luhe bin ich zum Fotografie-Studium nach Karlsruhe gegangen. An der Hochschule wurde aus den Ich-knips-irgendwie-Bildern dann Dokumentarfotografie an der Schnittstelle zur Kunst. Mir war es immer wichtig, mich an eine Formensprache zu halten und eine visuelle Stringenz zu erzielen, gerade bei Langzeitprojekten. Im Musikbereich fotografiere ich dagegen heute in Farbe und morgen in Schwarz-Weiß – das ist egal. In der Hochschule wurde ich dafür schief angeschaut. Aber ich fotografiere halt einfach gerne.

„Wahala“ wurde oft gelobt: „apokalyptisch wie Dantes Inferno und von atemberaubender Ästhetik“. Kann man ein Motiv auch zu schön fotografieren?

Nun, wenn das Licht nicht besonders ist, dann ist es eben nur eine Müllkippe in Döhnsdorf. Bilder dürfen anziehend sein – sie sollen Aufmerksamkeit erregen. Die Leute sind fasziniert, und wollen dann genau wissen, was dahintersteckt. Ich sehe mich nicht nur als Fotografen, sondern auch als Kommunikator. Ich bin kein Aktivist, mir geht es darum, die Leute in eine Diskussion hineinzuziehen. Das bekomme ich während der Ausstellungen mit, wenn ein Bild einem Besucher gefällt, und sein Begleiter meint: So etwas darfst du gar nicht toll finden. Man darf nicht nur Schlimmes zeigen, es braucht einen weiteren Zugang.

Kann Ihre Kunst die Welt verbessern?

Ich maße mir nicht an, dass meine Bilder etwas verändern. Aber ich hoffe, dass andere Forderungen stellen, dass es eine politische Diskussion gibt. Es ist schon ein großer Schritt getan, wenn die Leute nach dem Besuch anfangen, nachzudenken. Und sei es, dass sie Zahnpasta ohne Mikroplastik benutzen.

„Es reicht nicht mehr, nur zu fotografieren,es geht um neue Formen und Ansätze“

Die professionelle Fotografie ist im Wandel – eigentlich schon seit Jahrzehnten.

Früher habe ich in vier Wochen 150 Fotos gemacht, heute kommen so viele an einem Tag zusammen. Ich bin froh über die Digitalfotografie, das eröffnet auch neue Ideen. Der Kontext wird wichtiger. Es reicht nicht mehr, nur zu fotografieren, es geht um neue Formen und Ansätze. Vielleicht gibt es heute Parallelen zu der Zeit, in der im 19. Jahrhundert die Fotografie aufkam: Es war nicht mehr immer sinnvoll, alles en détail abzumalen. Dennoch gibt es auch im 21. Jahrhundert noch figurative Malerei. Man wird auch in Zukunft noch Pressefotografen brauchen.

Woran arbeiten Sie im Moment?

Ich habe mit der Nachfolgearbeit zu „Wahala“ begonnen und mich mit seltenen Erden beschäftigt. Ich habe im Harz fotografiert und im Erzgebirge – dort wurden vor 40 Jahren die letzten Bergwerke stillgelegt. In den Gewässern dort hat man jetzt Kobalt gefunden, das soll nun gefördert werden. Das Narrativ ist: Das sichert Deutschlands Unabhängigkeit von Drittanbietern und schafft eine neue nationale Souveränität. Dabei machen diese Vorkommen nur ungefähr drei Prozent von dem aus, was man in Deutschland benötigt.