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Der Soundtrack des Skalpells

Schönheits-OP auf der Opernbühne: Die Uraufführung von Thierry Tidrows „Der Hässliche“ am Theater Dortmund ist eine Gesellschaftssatire

Von Sophie Emilie Beha

Die Oper „Der Hässliche“ trifft einen Nerv der Zeit: In der am Theater Dortmund uraufgeführten Oper setzt man sich mit Schönheitsidealen und Optimierungswahn auseinander – ernst, absurd und kurzweilig. Die Oper „Der Hässliche“, komponiert von Thierry Tidrow, basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Marius von Mayenburg aus dem Jahr 2000. Auch wenn der Stoff schon über 20 Jahre alt ist, ist die Oper, hier in einer Inszenierung von ­Zuzana Masaryk, hochaktuell.

Sie wird nicht auf der großen Bühne, sondern im kleineren Untergeschoss aufgeführt, was sofort eine intime Atmosphäre schafft. Die Bühne ist schlicht: Ein schwarz-weißer Drehtisch, der mal als OP- oder Büro-Tisch, mal als Sockel und mal als Bett herhält. Zu Beginn der Oper, als die ausgedünnten Dortmunder Philharmoniker einen dissonanten Klangteppich weben, sitzt Lette (gespielt von Marcelo de Souza Felix) an ebendiesem Tisch und ist schockiert. Eigentlich will er nur seine Erfindung bei einem Kongress vorstellen, aber sein Chef will lieber seinen Assistenten Karlmann (Daegyun Jeong) die Präsentation übernehmen lassen. Lette versteht nicht warum und als er nicht lockerlässt, verrät ihm seine Frau Fanny (Anna Lucia Struck) endlich den Grund: Lette ist unfassbar hässlich. Deshalb blickt sie ihm auch nie direkt ins Gesicht.

Lette, der seine Hässlichkeit selbst nie bemerkt hat und sich bisher sehr wohl gefühlt hat, ist mit einem Mal unglücklich. Er geht zusammen mit seiner Frau zum Schönheitschirurgen Dr. Scheffler (Ruth Katharina Peeck), der ebenfalls entsetzt ist über Lettes Gesicht. Es sei so hässlich, dass er bei einer Operation nichts davon übriglassen könne. „Umso besser“, sagt Fanny. Lette ist weniger begeistert, willigt aber dennoch ein.

Der aus Kanada stammende Tidrow, der gerade als Composer in Residence am Theater Dortmund ist, vertont die folgende Schönheitsoperation eindrucksvoll. Begleitet von hackenden Streicherakzenten machen sich Dr. Scheffler und eine OP-Schwester (die verkleidete Fanny) zuerst über seine Nase her. Dr. Schefflers Handbewegungen folgen den Instrumenten: das Skalpell den zerfetzten Holzbläserakkorden und der Sauger den Geräuschen der Bläser. Humorvolle Tonmalerei par excellence!

Die Operation glückt und Lette mutiert vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan. Dr. Scheffler und Fanny zeigen sich begeistert. Die Musik wird zum ersten Mal tonal, lieblich, säuselnd – das ist so stark außerhalb der vorhergegangenen Klangwelt, dass es fremd und unstimmig wirkt. Fanny küsst gierig Lettes neues Gesicht und lockt ihn mit bezirzenden Pseudo-Koloraturen ins Bett.

Ist Lette zunächst noch verwirrt ist – er kann sich selbst nicht wiedererkennen –, gewöhnt er sich doch schnell an sein neues Aussehen und die neue Rolle, die er damit in der Gesellschaft einnimmt. Auf einmal ist er der Schönste und als solcher fährt er natürlich auch zum Kongress seiner Firma. Plötzlich reißen sich die Frauen um ihn und die Firma macht 70 Prozent mehr Umsatz – nicht aufgrund neuer Erfindungen, sondern weil Lette sich durch sein neues Aussehen so gut verkaufen kann.

Das Musiktheater fragt nach der Wertigkeit von Schönheit in einer Gesellschaft, in der alle danach streben

Alle wollen aussehen wie er, lassen sich umoperieren, und so sieht Lette sich immer mehr Duplikaten seiner selbst gegenüber. Sein Marktwert sinkt rapide und seine Identitätsspaltung schreitet voran. Als sich am Ende auch noch sein Assistent operieren lässt, um in der Firma auszusteigen, und Lettes Frau, von dem erotischen Überangebot überfordert, ihn betrügt, ist der Tiefpunkt erreicht. Lette führt ein Selbstgespräch zwischen seinem alten und seinem neuen Gesicht und ist anschließend kurz davor, sich von einem Hochhaus zu stürzen. Dann aber hält ihn ein junger homosexueller Mann zurück, der frisch von seiner Operation kommt und nun ebenfalls ­Lettes Gesicht trägt. Beide verlieben sich in die eigene Schönheit und singen im Liebes­duett „Ich kann nicht leben ohne mich“. Gemeint ist hier allerdings keine Selbstliebe, sondern pervertierte Eitelkeit.

„Der Hässliche“ ist bereits die dritte Komposition, die Thierry Tidrow für das Ensemble der Jungen Oper komponiert hat. Die Musik ist größtenteils atonal, sehr rhythmisch und zielgerichtet – und ebenso absurd humorvoll wie das Libretto von Manfred Weiß.

Das Musiktheater fragt nach der Wertigkeit von Schönheit in einer Gesellschaft, in der alle danach streben. Was daraus resultiert, drückt ebenso buchstäblich wie doppeldeutig das schöne Sprichwort „sein Gesicht verlieren“ aus.

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